The Art of Piano #1

The Art of Piano #1

Various

bmc records & edition records

Die Geschichte des Jazz-Pianos reicht weit zurück. In diesem Kontext seien Namen wie Jelly Roll Morton, Lil Hardin Armstrong und Fats Waller für die Frühzeit des Jazz genannt. Doch die Reihe der „Heroen des Jazz“ ist fortzusetzen und um Namen wie Duke Ellington, Thelonious Monk, Erroll Garner, Art Tatum und Dave Brubeck sowie Keith Jarrett zu ergänzen. Bis heute gehört das Piano zum klassischen Jazz-Trio beinahe unabdingbar dazu. Doch auch solistisch erfreut sich das Piano oder Grand Piano unter Jazzern großer Beliebtheit. Hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf zwei jüngste Neuerscheinungen von Michiel Braam unter dem Titel „Gloomy Sunday“ und von Jason Rebello mit dem Titel „Held“.


Bei dem Album von Michiel Braam handelt es sich um den Live-Mitschnitt eines Konzerts im BMC Opus Jazz Club in Budapest. Dabei wird das vorliegende Album mit einer Eigenkomposition namens „Opus Espresso“ eröffnet. Doch auch „The Man I love“ von George Gershwin findet man auf der vorliegenden Einspielung. Jan Gerard Palm komponierte „Eliza“ und Rezsö Seress „Gloomy Sunday“. Mit „Cuba, North Rhine Westphalia“ aus Braams Feder endet das Album.

Nicht nur das „Selbstmörderlied“
Zu den sogenannten Standards im Jazz gehört „Gloomy Sunday“. 1933 wurde das Stück komponiert, das weithin als „Selbstmörderlied“ bekannt ist. Unter anderem gehörte es zum Repertoire von Billie Holiday, die unter anderem folgende Zeilen sang: „Sunday is gloomy, / My hours are slumberless. / Dearest, the shadows / I live with are numberless. … Gloomy is Sunday, / With shadows I spend it all. / My heart and I, have / Decided to end it all./...“. Die ursprünglich zur Komposition von Seress geschriebenen Verse von László Jávor allerdings beziehen sich auf den Schrecken des Krieges. Die Verse, die auch Holiday singt, sind eine spätere Ergänzung. Gespielt hat Braam das Stück auch auf einer Beerdigungsfeier für einen Studenten der ArtEZ Universiteit Arnhem. Bei dem Liveauftritt in Budapest schien ihm das Stück wegen des Bezugs zu Ungarn passend, sodass er es dort ebenfalls vortrug. Nach einem Lamento hört sich die Komposition beim Vortrag von Michiel Braam nicht an. Ein wenig melancholisch eingefärbt, so erscheint „Gloomy Sunday“. Dass Menschen beim Hören des Songs suizidale Gedanken hegten und diese in die Tat umsetzten, ist allerdings für den Rezensenten nur schwer nachzuvollziehen.

Opus Espresso und Memories Of You
Mit einer starken Basshand, ohne jedoch in einen Rolling Bass zu verfallen, eröffnet Braam sein „Opus Espresso“. In der Dynamik lässt er diese Basshand im Verlauf des Stücks mehr und mehr die Oberhand gewinnen. Galoppaden und Kaskaden sind zu vernehmen, gelegentlich von hochtönigeren Interventionen gebrochen. Beim Zuhören denkt man vielfach an ein drohendes Gewitter, das sich zusammenbraut. Entladungen sind im Übrigen musikalisch inbegriffen. Weniger dramatisch, eher balladenhaft angelegt wurde von Braam George Gershwins „The Man I Love“. All das Schmachtende und das eher Süßliche, das Billie Holiday in diesen Song gelegt hat, als sie ihn vortrug, ist allerdings bei Michiel Braam nicht zu finden. Bei ihm ist eher ein freies und losgelöstes Spiel auszumachen, bei dem allerdings immer noch das Thema zu finden bzw. zu erahnen ist. Dabei ist der Vortrag dann weit von einem Liebeslied entfernt. Flink huschen Braams Finger über die Tasten, das Bassregister betonend, teilweise überschäumend, sprunghaft und perlend daherkommend.

Die rollende Basshand findet sich dann bei „Pit Stop Ball Ad“. Dabei zeigen sich auch durchaus Ansätze von Ragtime im Spiel von Michiel Braam. Doch der Hochschullehrer am ArtEZ Arnhem ist eben kein Stil-Purist, sondern durchaus sehr experimentierfreudig, sodass er im weiteren Fluss der Kompositionen für Brüche, Abbrüche, Stimmungswechsel, Harmonieanpassungen und andere als die von einer Basslast geprägten Klänge sorgt. So sind schwirrende Klangschläge zu vernehmen, die über starken Bassakzenten liegen. Hier und da scheint auch ein wenig Blues angedacht, aber eben nur angedacht. Zum Ende zu wird es wild, zügellos, und man wartet auf eine feurige Eruption. Diese bleibt aus, denn übergangslos geht es mit „Eliza“, von Jan Gerard Palm geschrieben, weiter. Beim Zuhören denkt man weniger an Jazz als vielmehr an ein Couplet und Claire Waldoff, bisweilen auch an Operettenhaftes aus der Blütezeit der Donaumonarchie. Dabei ist Palm auf Curaçao heimisch gewesen und hatte während seiner musikalischen Karriere 180 Kompositionen vollendet, darunter auch Walzer und Mazurkas.

Mit dem vorgetragenen Stück „Memories Of You“ aus der Feder von James Hubert „Eubie“ Blake verneigt sich Braam vor einem der Pioniere des Ragtime. Beim Zuhören hat man den Eindruck, dass Braam das Tastenmöbel auch zeitweilig zum Schlagwerk umfunktioniert hat. Ragtime scheint immer wieder durch, wird aber von Braam überdies sehr umsichtig und vielschichtig umspielt.

Völlig losgelöst im Hier und Jetz erscheint das letzte Stück des Albums „Cuba, North Rhine Westphalia“. Dabei scheinen sich im weiteren Verlauf des Stücks Free Jazz und Operettenhaftes zu begegnen und zu verschmelzen. Wenn man denn nicht von Operettenhaftem in diesem Kontext sprechen möchte, dann seien Begriff wie Liedhaftes und Tanzbares erlaubt. Hat sich Braam da nicht an einem bekannten Walzer der Musikgeschichte bedient und ihn verfremdet? Beim Zuhören dachte der Rezensent außerdem an den Mann am Klavier, an den Typus des Alleinunterhalters, der nachmittäglich in der Hotellobby aufspielt, auch zum Tanz.

„Blackbird“ ist auch dabei
Auf dem Album des britischen Pianisten Jason Rebello findet sich nur eine Komposition, die nicht von ihm stammt. Dabei handelt es sich um „Blackbird“, eine der bekannten Kompositionen von Lennon/McCartney, somit zugleich Rebellos Hommage an die legendären Beatles.

Mit „Pearl“ eröffnet Rebello den musikalischen Reigen, setzt ihn mit „Salad Days“ – das klingt ja vom Titel her wie eine Hymne für die Vegetarier dieser Welt – fort. „As The Dust Settles“, „Thanks John“ – ist das als Verneigung vor John Lennon zu begreifen? –, „Purple Sunflower“ und schließlich „Dissolve“ vervollständigen das Album.

Rebello trat unter anderem gemeinsam mit Wayne Shorter auf und tourte zudem mit den Bands von Jeff Beck und Sting, ist also kein Purist, sondern ein Freigeist über die Genregrenzen hinweg. „Throughout my career I've had the opportunity to play in wide-ranging and diverse scenarios, but never had an opportunity to immerse myself fully in the piano. I've reached a point now where I feel there is something to say just with a piano ...“ So war es denn 2016 soweit, ein Solo-Piano-Album zu veröffentlichen.

Pearl and Salad Day
Sind da nicht Perlen zu hören, die nach und nach auf den Boden prasseln, nachdem die Kette zerrissen ist? Dieser Eindruck drängt sich bei dem ersten Stück des Albums „Held“ auf. Bei „Pearl“ nimmt man allerdings auch wahr, dass die Perlen über Treppenstufen springen und dann für eine Weile über den Boden rollen, bis zum nächsten Hindernis, so ein Bild, das sich dem Rezensenten beim Hören des Stücks aufdrängte. Zu Beginn von „Salad Days“ hört sich das Tastenmöbel wie eine „gestrichene Harfe“ an. Doch dann nehmen wir einen Spielwandel wahr. Das Narrative bekommt die Oberhand, auch wenn dabei an „Salattage“ nicht zu denken ist. Eher drängen sich Bilder von einem Ausritt im Frühjahr durch das erste Grün auf. Auch an spielende Kinder am Strand und verliebte Paare in einem der Parks der Stadt könnte man beim Zuhören durchaus denken. Alle scheinen von der Winterlast befreit und die ersten Sonnentage zu genießen. Bei „Blackbird“ muss man geduldig sein, ehe man das Thema ausmachen kann. Dabei scheint es so zu sein, dass Rebello auch eine winzige Prise von Ragtime dem Beatles-Song zugefügt hat. Jedenfalls kommt Rebellos Interpretation längst nicht so lyrisch daher wie das Original – und das ist ja das, was man erwartet. Es geht eben nicht um eine Coverversion, sondern um die Präsentation einer Variation!

Thanks John und Polzeath
Sehr verhalten und lyrisch ausgeformt ist hingegen „Thanks John“. Doch das ist nur zu Beginn der Fall. Anschließend gibt es Reminiszenzen an Harmonieschemen aus „Pearl“. Auch das perlende Spiel gewinnt mehr und mehr gegen Ende die Oberhand. Einem kleinen Ort an der Küste Cornwalls widmet der Pianist die Komposition „Polzeath“. Bekannt geworden ist dieser Ort u. a. als Sommerfrische des englischen Dichters Sir John Betjeman. Dieser widmete dem Flecken auch einige Gedichte wie "Seaside Golf". Rebello entführt uns, so scheint es, eben in diese Sommerfrische mit bunten, sommerlichen Klangschlägen. Der Abschlusssong des Albums heißt „Dissolve“ im Sinne von Vergehen, Zerfließen, Auflösen.

Text © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Michiel Braam: Gloomy Sunday, BMC, CD 237, http://www.bmcrecords.hu, http://www.michielbraam.com/

Jason Rebello: Held, Edition records, EDN1091, http://www.editionrecords.com, http://ccgi.rebello.plus.com/main/


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