Klang-Facetten: Italia #1

Klang-Facetten: Italia #1

Various

Alfa Music / Tosky Records / DODICILUNE / GleAM Records

Indaco – Due Mondi  /  Boz Trio – Pastis  /  Elga Paoli – Una Vita Fatta A Mano  /  Alberto Forino – Tiny Toys

 




Indaco – Due Mondi
Alfa Music


Seit drei Jahrzehnten existiert Indaco als ein Projekt, das Musiker aus allen Bereichen zusammenbringt, Musikgenres vermischt und unterschiedliche Stile zu einem Ganzen verschmilzt. Dabei unternehmen wir nicht nur musikalische Exkursionen  zwischen Neapel und Süditalien, sondern reisen auch auf den Balkan, in den Nahen Osten und nach Indien. Pässe und Visa sind nicht erforderlich, wenn wir einen „Mediterranen Express“ besteigen und mit dem Gitarristen Jacopo Barbato, dem Bouzouki-Spieler Mario Pio Mancini und der Harfenistin und Vokalistin Valeria Villeggia unterwegs sind. Zum Ensemble gehören zudem der Perkussionist Arnaldo Vacca, der Vokalist Enzo Gragnaniello, der Bassist Maurizio Turriziani, der Schlagzeuger Maurizio Catania und der Saxofonist Fabio Mancano sowie der Duduk-Spieler Renato Vecchoio und die Akkordeonistin Desiree Infascelli.

Schon bei den ersten Takten von „Kalí“ ist man mit Siebenmeilenstiefeln in Indien, vor allem angesichts der starken perkussiven Momente und des Gesangs von Valeria Villeggia. Und diese Klangreise gelingt auch ohne Shruti Box und Sitar sowie Thumri. Doch die Tonsilben, die auch der Saxofonist aneinander reiht, sind durch und durch an klassische indische Musik angelehnt. An die Tradition von spanischer Gitarrenmusik und italienischem Barden-Gesang knüpft „Sente E Tace“ an. Man achte insbesondere auf die solistischen Intermezzos von Jacopo Barbato auf der Gitarre, die dem Stück eine besondere, lyrische Note verleihen. Hören wir da nicht bei „Oikos“ eine Bouzouki und treibende, trabende Rhythmen? Dazu gesellt sich der Gesang von Valeria Villeggia, die wie auch die übrigen Musiker, so scheint es, an die Tradition von Rembetiko anknüpft. Und „Alexis Zorbas“ scheint auch nicht fern, oder? Eine Note fern des Folkloristischen wird dem Stück durch die Passagen der E-Gitarre eingehaucht.

Hört man zu Beginn bei „Earth“ etwa eine armenische Doppelrohrblattflöte, die uns in den Kaukasus entführt und zugleich ähnlich wie Blasinstrumente der orientalischen Kunstmusik klingt? Charakteristisch ist auch für dieses Stück die vibrierende Stimme von Valeria Villeggia und die akzentuierte, stampfende Rhythmik. Vereinen sich im Anschluss nicht Gitarre und Harfe zu einem Zweiklang? Sobald dies der Fall ist, scheint man dann auf der iberischen Halbinsel und in Al Andalus. Wehklagend klingt in ihrem Solo die Duduk, die oben erwähnte armenische Flöte. Sie hat durchaus auch etwas vom Klang eines Dudelsacks. Aus den elf eingespielten Stücken seien nachfolgend zunächst „Cielo di burro“ und schließlich „Ombra e luce“ (Licht und Schatten) herausgestellt.

„Cielo di burro“ eröffnet mit einem Harfen-Solo, ehe dann die Harfenistin und Vokalistin des Ensembles ihre Stimme erhebt. Das hat etwas von Singer/Songwriter abseits dessen, was der Begriff engmaschig meint, nämlich angelsächsisches Liedgut der Gegenwart. „Ombra e luce“ bildet den Schlussakkord des Albums. Auch dieser Titel lebt von der Gesangskunst und dem Stimmumfang von Valeria Villegia.

© fdp2023


Line-up

Jacopo Barbato Chitarre e Cori
Valeria Villeggia Voce e Arpa
Mario Pio Mancini Bouzouki e mandola
Maurizio Turriziani Basso
Maurizio Catania Batteria
Fabio Mancano Sax
Desiree Infascelli Fisarmonica
Renato Vecchio Duduk
Arnaldo Vacca Percussioni

Tracks

1 Kalí
2 Sente e tace
3 Oikos
4 Earth (preludio)
5 Due mondi
6 Al confine
7 Quanno è sera
8 M’ha criete Dije
9 Cielo di burro
10 Riturnari a jucari
11 Ombra e luce




Boz Trio – Pastis
Tosky Records


Aktuell liegt das vierte Album des Boz Trios vor. Mit osteuropäischer Folklore verbindet die Band ein Klezmer-Repertoire, das sie einer Frischzellenkur unterzieht, ohne die angestammte aschkenasische jüdische  Tradition dieser Musik beiseite zu schieben. Hinzukommen Einflüsse aus artverwandten Kulturen Osteuropas.

Man hat beim Hören der Musik den Eindruck, man würde die Heterogenität von osteuropäischen Städten wie Lviv erleben, würde eine Melange von Klezmer-, Zigeuner-, Balkan- und griechischer Musik hören und in einen lebendigen und bunten Kosmos eintauchen. Dies erleben wir u. a. bei „Gankino Horo“ unter anderem bei der Zwiesprache von Klarinette und Akkordeon, das zeitweilig gänzlich die rhythmische Durchwirkung des Stücks verantwortet. Temporeich und virtuos ist das Spiel des Geigers, der den Bogen über die Geigensaiten tanzen lässt.

Bei „Gipsy!“ hat man bisweilen den Eindruck, man lausche der musikalischen Untermalung eines Schelmenstücks bzw. Paare würde sich im wilden Tanz drehen. Besonders die Klarinette bestimmt mit ihren beschwingten und tänzerischen Melodielinien das Stück. Da drängt sich bei dem einen oder anderen Hörer außerdem der Eindruck von Heurigen-Musik, von Bänkelliedern und Moritaten auf. Zudem ist auch ein wenig Zirkusmusik mit im Spiel, wenn Clowns in der Manege ihre Späße treiben. Schließlich noch ein Wort zu „Hora Staccato“: Volkslieder, wie sie auf dem Balkan gepflegt werden, sind allgegenwärtig. Tanzen da nicht Klarinette und Geige mit- und umeinander? Irgendwie beschleicht den Hörer außerdem die Vorstellung, man wäre auf einer bayerischen Hochzeit mit Brautlader und Volksmusik zugegen.

© fdp 2023

Line-up

Rouben Vitali (clarinet, alto sax)
Simone Draetta (violin)
Davide Longoni (guitar)
Luca Pedeferri (accordeon)
Alberto Capsoni (double bass)

Tracks

1. Bessarabian Hora
2. Gankino Horo
3. Gipsy!
4. Hungarian Medley
5. Yiddishe Mame
6. Hora Staccato
7. Tanz, Tanz Yedelekh
8. Naftules Milonga
9. Dudaim Mit Freilach
10. Marijana




Elga Paoli – Una Vita Fatta A Mano
DODICILUNE


Der Albumtitel lautet „Ein Leben von Hand gemacht". Ruhelosigkeit, Schönheit, das Vergehen der Zeit und Krieg sind einige der Themen, die in dem neuen Projekt der aus La Spezia stammenden Sängerin und Pianistin  Elga Paoli auftauchen. Zu hören sind neun Originaltitel mit  Referenzen an den portugiesischen Dichter Fernando Pessoa und Mahatma Gandhi. Dabei erlebt der Hörer Streicher- und Holzbläser- Arrangements sowie eine Mischung aus Jazz und Kunstmusik. Zum Ensemble Paolis gehören u. a.  Fabrizio Bosso (Trompete), Giovanna Famulari (Cello), Vince Abbracciante (Akkordeon), Eric Daniel (Klarinette und Flöte), Umberto Vitiello (Gesang und Schlagzeug), Marina Acerra (Flöte), Massimo Lamarra (Oboe), Silvia Linciotti (Violine), Francesco Marquez (Cello), und Andrea Colella (Kontrabass).

Leicht rauchig ist die Stimme der Pianistin und Vokalistin Elga Paoli, wenn sie „Settembre“ singt. Nicht nur in diesem Stück, sondern auch sonst liegt der Fokus gänzlich auf dem Vokalen. Das überrascht insofern, wenn man sich das Line-up anschaut. Nicht nur Streicher bereichern die Stücke, sondern auch das Akkordeon oder die Trompete mit ihren prägnanten Stimmlagen. Nur kurz sind die „Zwischenspiele“ von Andrea Colella (Bass) und Silvia Linciotti (Violine).Um Schönheit geht es in „Mia Bellezza“. Stimme und Klavierbegleitung machen das Stück aus, auch wenn man Fabrizio Bosso mit weichen Trompetenklängen hört. Doch das ist zunächst schlicht Beiwerk. Eigentlich könnte die Pianistin auch solistisch auftreten. Ansätze für einen Soloauftritt des Trompeters entfalten sich im Stück nicht weiter. Man wünschte sich dafür mehr Raum und mehr Freiheit. Doch das Songhafte und die Klavierpassagen sind durchgehend dominant. Da gibt es keine Freiräume, leider.  Die Pianistin eröffnet „Christine’s Smile“. Es ist ein Track, auf dem die Vokalistin in Englisch singt. Sehr ungewöhnlich ist, dass eine Oboe zu hören ist, die den Gesang auch begleitet. Der Klang gleicht dabei einer Mischung aus Klarinette und Flöte.  Die Oboe gibt dem Stück eine Note von klassischer Musik. Das ist eine Ergänzung zu dem Balladenhaften, das wir vernehmen. Elga Paoli wandelt dabei durchaus in den Spuren der legendären Ladies im Jazz wie Billy Holiday oder Sarah Vaughn.  Blues-Anmutungen sind bei „Dietro La Porta“ („Hinter der Tür“) zu hören. Man achte auch hier auf die wenigen Momente, in denen Fabrizio Bosso seine Trompete durchaus auch ätzend und schrill, aber auch in einem Post-New-Orleans-Stil erklingen lässt. Dabei nutzt er eine kurze Gesangspause. Nur fragt man sich, warum nicht ein Arrangement geschrieben wurde, um den „Gastmusiker“ mehr zur Geltung kommen zu lassen.

Teilweise Rezitation und Sprechgesang erleben wir neben kristallinen Flötenklängen bei „Canzone Perduta“ („Verlorenes Lied“). Ja, es gibt ein Klaviersolo neben den Gesangssequenzen und es gibt  ein „Aber“ betreffs der Freiräume für Solos. Das zieht sich von A bis Z durch das Album. Da macht auch die Schlusskomposition keine Ausnahme:  „Una Vita Fatta A Mano“ rundet das Album ab.

© fdp 2023


Line-up

Elga Paoli - piano, vocals
Umberto Vitiello - vocals, percussion (3)
Eric Daniel - clarinet, flute  (2, 8)
Marina Acerra - flute (8)
Massimo Lamarra - oboe (3, 4)
Silvia Linciotti - violin (1)
Francesco Marquez - cello (1)
Vince Abbracciante - accordion (9)
Andrea Colella - double bass (1)
Francesco Puglisi - double bass
Alessandro Marzi – drums

feat. Fabrizio Bosso - trumpet (2, 5, 6) & Giovanna Famulari - cello (3, 9) /

Tracks

1- Settembre
2 - Mia Bellezza
3 - In Sogno
4 - Christine’s Smile
5 – Brest
6 - Dietro La Porta
7 - Without Peace
8 - Canzone Perduta
9 - Una Vita Fatta A Mano




Alberto Forino – Tiny Toys
GleAM Records


Zum Album lesen wir: „‘Tiny Toys’ ist ein Album, in dem die syntaktische und strukturelle Forschung das Klangmaterial dominiert und nach neuen Formen der Interaktion im Klaviertrio und eine neue Hierarchie der Beziehungen zwischen den minimalen Elementen von Melodie und Improvisation. … Die Tracks sind so aufgebaut, dass sie auf Sequenzen und Kombinationen von zwölf Klängen aufbauen.“ Und der Pianist Alberto Forino sagt zu seiner Musik Folgendes: „Die Musik für dieses Album ist schrittweise entstanden. Die Ideen haben sich im Laufe der Jahre angehäuft und verfestigt: … im Studium, in der kostbaren Zusammenarbeit mit Musikern und dem Theater, dank Ensemble- und Solokonzerten am Klavier. Eine Vielfalt von Reizen und Aufforderungen rund um die Welt der Klänge im Hier und Jetzt der Musik und mehr noch der Musik der Improvisation flossen in meine Musik ein. Vor allem ging es mir um Improvisation und Freiheit. Beides ist mir lieb und teuer. Was die Komposition dieser Stücke leitete, war die Suche nach einem Weg, auf dem sich die Musik selbst verwirklichen kann, mit Regeln und Freiheit zu spielen und letztere zu bewahren.“

Der Aufmacher des Albums ist „Orco“. Der Höreindruck des Stück beinhaltet die teilweise kaskadierenden Sequenzen, die der Pianist vorträgt. Im Hintergrund agiert als zweite Stimme der Bassist. Vergleicht man das, was man hört, mit rinnendem Wasser, das sich in Felsenbassins fängt, das in engen Felsdurchbrüche gefangen ist und rauschend dahin fließt, so hat man schon ein geeignetes Bild zur Musik gefunden. Neben den eher dynamischen Passagen gibt es aber auch lyrisch-langsame musikalische Ausformungen. Unterbrochen werden diese durch fulminante Schlagzeug-Verwirbelungen, denen die Dynamik einer Windhose innewohnen. Gleichsam als „Kontrapunkt“ erleben wir den Bassisten in seinen Zwei-Tonsilben-Schritten mit sehr gemäßigtem Tempo. Das, was wir hören, gleicht, den dicken Regentropfen, die nach einem Sommerschauer von Blättern tropfen und auf dem Boden zerplatzen. Im zweiten Teil des Stücks ist es am Pianisten die Schraffuren des Klangs zu setzen. Das hat durchaus etwas Gestisches und ist insoweit vergleichbar mit den Happenings in der Kunst der 1970er und 1980er Jahre.

Nachhaltig in den Tiefen des Bass sich bewegend – so erscheint der Bassist Giulio Corini in der Eröffnung von „Miss the “Rioso” Train“. Im Rahmen der Verstetigung des Stücks treten dann der Pianist und Schlagzeuger an die Seite des Bassisten, der forthin hintergründig agiert. Der Pianist hingegen zeichnet ein Bündel von Parallelen. Zugleich nehmen wir „kristalline Umspielungen“ wahr, sehen konzentrische Kreise des Klangs. Dazu entfacht der Drummer unbändiges Blechschwirren. Vor allem aber sind es Tonsilben der rechten Hälfte des Klaviers, die in den Vordergrund gesetzt werden. Kennzeichnend für „Mimo“ sind „Tonwalzen“, dem Wasser gleichzusetzen, das ein Wehr herunterfließt.

Der Bassist lotet in „Beautiful are Those who Fall“ auch die hohen Lagen seines Tieftöners aus, derweil der Pianist hier und da „Klangtropfen“ setzt. Kristalline Klangpassagen dringen nachfolgend ans Ohr des Hörers. Dazu fällt dem einen oder anderen vielleicht eine impressionistische Ansicht von Max Liebermann ein, bei der Lichtpunkte auf den Waldboden fallen und Lichtbänder die Bäume berühren. Ja, der Titel „A Blues is a Blues is a Blues“, ist programmatisch, denn wir erleben einen Blues, dank vor allem an Alberto Forino.  Zum Schluss heißt es dann  „Beautiful are Those who Breathe“.

© fdp 2023


Line-up

Alberto Forino – piano
Giulio Corini – bass
Filippo Sala – drums

Tracks

1. Orko
2. Miss the “Rioso” Train
3.Mimo
4. Beautiful are Those who Fall
5. Nests
6. Entropy
7. A Blues is a Blues is a Blues
8. Dazing Dream
9. Beautiful are Those who Breathe


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