Jazz the Italian way #1

Jazz the Italian way #1

Various

Emme Records / Filibusta Records / Losen Records

Paride  Pignotti - 43° Parallelo
Marco Zenini - Brighter Times Ahead
Lorenzo De Finti Quartett - Love Unknown


Nachstehend werden einige aktuelle Produktionen von Jazzmusikern aus Italien vorgestellt. Auch jenseits von Enrico Rava und Paolo Fresu gibt es hervorragende Musiker, die aber außerhalb von Rom, Bologna und Mailand nur selten zu hören sind. Aber es lohnt sich!

Paride Pignottis 43ster Breitengrad

Mit "43° Parallelo" legt der zurzeit in Rom beheimatete junge Gitarrist Paride Pignotti sein Debütalbum vor. Mit dem 43sten Breitengrad ist der Breitengrad  gemeint, auf dem Grottammare (Marken/Italien) liegt. Dies ist die Heimatstadt Pignottis. Auf dem Album, das mit dem Pianisten Seby Burgio, dem Kontrabassisten Alberto Fidone sowie dem Drummer Allesandro Marzi eingespielt wurde, sind sechs Eigenkompositionen und zwei Standardarrangements - „How Deep  Is The Ocean“ und „My Foolish Heart“ - zu hören. Dabei vermischen sich der Klang des Südens mit brasilianischer Musik und moderner Jazzauffassung. Beim arrangierten Standard „How Deep Is The Ocean“ wirkt zudem der Trompeter Nate Birkey mit.


Eröffnet wird das Album mit dem Song „Eva“, gefolgt von „ Angry Man“ und „43° Parallelo“. Mit „Coraçao Brasileiro“ erfolgt ein musikalischer Exkurs ins Land zwischen Bahia und Rio, ehe „Six Nights“ und schließlich  „My Foolish Heart“ zu hören sind.

„Eva“ scheint eine „Liebeshymne“ mit fein gewobenen „Saitenklängen“. Dabei  liegt der Fokus auf der Klangsprache, die Paride Pignotti entwickelt, und zwar über Setzungen liegend, die der Pianist beisteuert. Bisweilen hat man auch den Eindruck, zwei Liebende würden sich für immer Lebewohl sagen, durchaus mit melancholischen Anmutungen verbunden, aber auch hoffnungsfroh angelegt. Der „43ste Breitengrad“ scheint in „43° Parallelo“ unter der südlichen Sonne zu zerfließen. Stetig rinnender Saitenfluss dringt ans Ohr des Zuhörers. Der Zuhörer gewinnt nach und nach den Eindruck, als würde jemand mit schnellen, hopsenden Schritten Treppenstraßen und -gassen überwinden, um auf schnellstem Weg Freunde auf dem Marktplatz treffen zu können, noch vor der abendlichen Dämmerung. Dabei „wetteifern“ der Pianist Seby Burgio und Paride Pignotti um die klangliche Dominanz, derweil im Hintergrund Becken rascheln und schwirren.

Mit Bossa kommt „Coraçao Brasileiro“ daher – und auch der großartige Baden Powell scheint dabei den vier Musikern aus Rom über die Schulter zu schauen. Tanzende Tastenklänge, vor allem im Diskant, sind zu vernehmen, einschließlich einer distinkten rhythmischen Basshand. Doch über allem stehen die Ziselierungen, die uns Paride Pignotti präsentiert. „La mia strada in salita“ besticht durch einen Wohlklang in frühlingshaften Färbungen, Dank an Paride Pignotti. Zudem scheint alles im Fluss, auch unter kleinen Steinbrücken hindurch und über Felssprünge hinweg, so suggeriert es das Spiel des Pianisten.  Mit einem Anflug von Reggae-Rhythmus überrascht „Six Nights“, ehe dann in Sachen Jazz eine swingende musikalische Zeitreise in die 1950er und 1960 Jahre beginnt und es außerdem dank des Gitarrenspiels von Pignotti auch ein wenig rockig wird.


Marco Zenini: Bessere Zeiten werden kommen

"Brighter Times Ahead" ist Marco Zeninis Debüt als Komponist und Bandleader.  Mit den zehn Kompositionen wird der Versuch unternommen, der eigenen Identität auf den Grund zu gehen, das Leben in einem neuen Land und die Rückkehr in das Ursprungsland nachzuzeichnen, sprich die Rückkehr aus den Niederlanden, wo Zenini längere Zeit verbracht hatte, nach Rom.

Die urbane Unrast paart sich in den Kompositionen mit Kontemplationen; offene Formen bis hin zu freier Improvisation und Geräuschmusik verschränken sich mit gebundenen. Die musikalische Umsetzung des Emotionalen scheinen den Kern des Albums auszumachen.  Dabei spielt die menschliche Stimme eine zentrale Rolle im Erzählen von Geschichten. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass der Klarinettist Michael Moore, der Teil der niederländischen Avantgarde ist, diesem Album seinen Stempel ausdrückt. Schließlich geht es Zenini nicht um Mainstream, sondern um Avantgarde!

Aufgemacht wird das Album mit „Belastingsdienst“, gefolgt von „Not There Yet“ und „Stream of Consciousness“. Zu hören sind obendrein „Five Letters for Sofie“ und „Fietsen in de regen“. Mit „Light A Match“ endet die Reise über Grenzen hinweg, von den Niederlanden nach Italien. Zum Gelingen dieser musikalischen Exkursion tragen nachstehend genannte Musiker bei: Marco Zenini (double bass, bass guitar), Laura Giavon (voice), Xavi Torres (piano, rhodes), Attila Gyárfás  (drums) sowie, wie bereits erwähnt, als Gast Michael Moore (clarinet).

Über einem Geräuschteppich schwingt sich die Stimme von Laura Giavon auf, wenn es um „Belastingsdienst“ geht. Die Linien der Stimme – „It‘s like, it‘s like ...“ wird mit denen verschränkt, die Michael Moore seiner Klarinette entlockt. Melodische Eskapaden wechseln sich mit offenen Geräuschpassagen ab. Die Stimme agiert dabei bisweilen autonom instrumental. „Huhuhuhu ...“ vernimmt man, sowie ein tonales Schwirren vom rechten auf den linken Kanal und zurück. „Kittekitt ...“ und eine flirrende Klarinette sind auszumachen. „Het Ogenblik ...“ ist ein Sprachfetzen, der auch Teil des Vortrags ist. Es scheint, als habe Zenini eine Sprach-Klang-Geräusch-Collage zusammengefügt, bei der am Ende auch ein Rhodes seinen Platz hat.

Der vokale Vortrag steht bei „Not There Yet“ anfänglich im Fokus, gefolgt von klassisch beeinflussten, aufbrausenden Piano- und Klarinettensequenzen, die jedoch nicht in Klezmer übergehen. Klangwogen treffen aufeinander. „… it‘s not me ...“ dringt ans Ohr des Zuhörers. In Siena und Umbra getaucht sind die Klanggewebe, die Marco Zenini uns zeigt. Und auch Michael Moore hat sich ins Basslastige zurückgezogen – ganz am Schluss der Komposition.

Mit „Stream of Consciousness“ finden die Basslastigkeit, die Schwere und die Erdverbundenheit ihre Fortsetzung. Zudem lässt Zenini seine Fingerkuppen so über die Saiten streichen, dass ein metallener Klang erzeugt wird. Knistern ist zu vernehmen und ein Ptptpt. Gleichsam tapsig agiert der Bass, während der Pianist gehemmte Klänge erzeugt. „Hm, hm, hmhm ...“ - so nimmt man Laura Giavon wahr. Wie ein sanfter Wellenschlag hört sich an, was sie und Michael Moore gemeinsam vorbringen. Beim Klang der Klarinette denkt man obendrein an tanzende Jollen auf dem Meer. Sie sind Spielball der Wellen. Bisweilen kommt beim musikalischen Vortrag auch Schwermut zum Ausdruck.

Singt da Laura Giavon im Weiteren in einer Kunstsprache? Man muss es annehmen, wenn sich der Klangstrom weiterentwickelt. Gleich „Fünf Briefe an Sofie“ vertonte der italienische Kontrabassist Zenini. Dabei drängt sich der Eindruck auf, zugleich werde damit auch ein Stück Neo-Romantik zum Leben erweckt. Dazu muss man nur dem Spiel von Xavi Torres aufmerksam folgen. Beinahe Opernhaftes scheint außerdem präsent, lauscht man dem Vortrag von Laura Giavon. Tiefe Sehnsucht bringt sie zum Ausdruck, auch eine gewisse Tragik.

Eher nach Pop und Folklore klingt hingegen der Song, der sich mit Juli, August und September („Luglio, Agosto, Settembre (Nero))“ befasst. Kein Starkregen, aber Nieselregen – man achte auf das Beckenspiel des Drummers – begleitet uns bei „Fietsen in de regen“. Wind und Regenbogen sind gegenwärtig, wenn man der Lyrik folgt, die uns Laura Giavon zu Gehör bringt. Auch dunkle Wolken überschatten das Radfahren. Der Bass sorgt für stete dicke nasse Tropfen, die auf dem Pflaster niedergehen. Das scheint zumindest ein durchaus nahe liegendes Bild zum Vortrag. Mit „Light A Match“, sich in elektronischen Gefilden ausbreitend, findet das Album schließlich seinen Abschluss.

http://www.marcozenini.com/video/marco-zenini-stream-of-consciousness-feat-harmen-fraanje

Lorenzo De Finti Quartett: Unbekannte Liebe

Das Quartett, das sich zeitweilig „kammermusikalisch“ mit der „unbekannten Liebe“ befasst, besteht aus Lorenzo DeFinti (piano), Gendrikson Mena (trumpet, flugelhorn), Stefano Dall´Ora (bass) und Marco Castiglione (drums). Die auf dem Album enthaltenen Kompositionen stammen alle von Lorenzo De Finti und Stefano Dall‘Oro.

Lorenzo De Finti begann bereits mit fünf Jahren Klavier zu spielen. Seine formale Ausbildung absolvierte er am Konservatorium Giuseppe Verdi in Mailand, ehe er dann zu Studienzwecken nach Boston und ans weltbekannte Berklee College of Music ging. Bassist Stefano Dall’Ora hat seine Ausbildung an der gleichen Musikhochschule wie De Finti absolviert und arbeitete danach für bekannte Musiker wie Lee Konitz, Astor Piazzolla, Richard Galliano und Jan Garbarek. Der Trompeter Gendrickson Mena Diaz stammt aus Havanna und stand mit Musikern wie Gonzalo Rubalcaba, Roy Hargrove, Nils Landgren und Chaka Khan auf der Bühne. Lange Zeit war der Drummer Marco Castiglioni u. a. fester Bestandteil des RAI Orchestra von Mailand.

Zu Beginn des Albums hören wir „The Vortex of the Angel“: Dieses Stück beginnt mit „Klavierstrudeln“, gefolgt von einem Trompetenklang, der sich bildlich mit abziehenden Nebelschwaden vergleichen lässt. Danach vernimmt man einen gestrichenen elektrischen Bass, der dem Stück ein wenig Fusion einhaucht und zugleich an die Musik von The Flock und Collosseum anzuknüpfen scheint. Danach löst sich das Rockige in klassischen Piano-Jazz auf, oder? Ein kaskadierendes Klaviersolo ergießt sich über die Klangwärme des Basses, dabei auch stets die Basshand auf dem Tasteninstrument zum Einsatz bringend. Gefolgt wird diese Sequenz von dem Weite ausstrahlenden Klang der Trompete.

Als stark balladenhaft mit sehr energiegeladenem Klavierspiel erweist sich „The Day I Will See You Again“. Dazu gesellt sich eine gedämpfte Trompete mit feinem Singsang. Eine dreiteilige Suite verbirgt sich hinter der Komposition “Return to Quarakosh“. Gewidmet ist diese Suite, bestehend aus „Sunrise“, „Black Flag“ und „Auùn Duashméya“, den Menschen der irakischen Stadt Quarakosh, die von den Verbänden von Isis komplett zerstört wurde. Aus der größten von Christen bewohnten Stadt des Iraks mussten 40,000 Bewohner fliehen, eine der Tragödien im Nahen Osten, die nur kurz für Schlagzeilen sorgte. Nachhaltiger wirkt dann die Musik aus der Feder von De Finti.

Der Beginn der Suite scheint wie ein Weckruf, wie ein nachhaltiger Schrei, wie eine Warnung, folgt man dem Klavierspiel De Fintis. Gepaart sind die beinahe ostinaten Klavierpassagen mit einem klagenden gestrichenen Bassspiel. Beinahe sakral mutet an, was Gendrickson Mena Diaz uns vorträgt. Einem Lamento scheint das zu gleichen, was wir vernehmen. Im weiteren Fortgang fühlt man sich an einen musikalischen Totentanz erinnert, obgleich der Titel ja „Sonnenaufgang“ verheißt. Es liegt in der Hand des Drummers  Marco Castiglioni „Black Flag“ zu eröffnen, mit konzentrierten Fellschlägen und vielfältigem  Blechgetöse. Nach etwa der Hälfte der Komposition erhebt Gendrickson Mena Diaz seine aufgeregte und zeitweilig mahnende Stimme, derweil im Hintergrund ein nervöses Tickticktick seinen Lauf nimmt, und der Bass sich in überwiegend dunklen Färbungen zeigt. Der letzte Teil der Ballade namens „Auùn Duashméya“ greift in den Melodieschlingen und Harmonien auf, was im ersten Teil der Suite bereits angelegt war. Bei den vorgestellten Phrasierungen muss man unwillkürlich an einen schmerzlichen Abgesang denken.

„Lied ohne Worte“ ist eine weitere Ballade, die Eingang ins Album gefunden hat. Solistisch agiert dabei zunächst De Finti am Klavier, durchaus mit Anmutungen an die Musik von Brahms und Schubert. Die Verwurzelung in klassischer Musik wird noch durch den gestrichenen Bass unterstrichen. In dem Moment, in dem Gendrickson Mena Diaz der Trompete Leben einhaucht, meint man gar, ein Kirchenlied zu hören. Dieser Eindruck verflüchtigt sich jedoch nach und nach.

Texte © ferdinand dupuis-panther. Die Texte sind nicht public commons!

Informationen

Paride Pignotti

http://www.emmerecordlabel.it


http://www.emmerecordlabel.it/release/43-parallelo-paride-pignotti/

(in Italienisch!!)

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