Jazz made in Germany #3

Jazz made in Germany #3

Various

evil rabbit records / mochermusic / JazzSick Records / NDR moosicus / fon trade music / blackbird music

Meinard Kneer / Manfred Junker Organ Trio / rupi /Albert Mangesldorff / Tony Lakatos / Lorenz Kellhuber

 

Meinard Kneer – vocabularies
evil rabbit records


Der studierte Biologe Meinard Kneer ist außerdem auch Kontrabassist und Komponist sowie auch Eigner von Evil Rabbit Records. Seine Musik lotet die Grenzen von Jazz, improvisierter Musik und komponierter Gegenwartsmusik aus. Nach Studien in Hilversum und Amsterdam wurde er schnell Teil der Szene der freien Improvisation. Nach Jahren in den Niederlanden siedelte er 2011/12 nach Berlin über. Zurzeit leitet er u.a. das Meinrad Kneer Quintet, das Trio Baars / Kneer / Elgart und das Phosphoros Ensemble. Zu hören ist er obendrein mit dem Julie Sassoon Quartet, dem Andreas Willers Septet, dem Peter Van Huffel Octet und Bite the Gnatze. 

Zum aktuellen Soloalbum lesen wir unter anderem folgenden Kommentar: „'Vocabularies'  has become a record that the bass nerds will love. In addition, anyone studying the pool’s capabilities should spend time listening to Kneer. For he is an exciting bass player, giving the listener a new experience of the possibilities of the bass.“ (Jan Granlie, June 21, 2020, saltpeanuts.eu)

Wie ein Berserker scheint der Bassist seinen Tieftöner mit dem Bogen zu streichen. Dabei gelangt er in Tonhöhen, die an Cello und Viola denken lassen. Flirrender Klangrausch trifft auf erdige Linien. „Sternensaus“, so der Titel des Eröffnungsstücks, lässt Assoziationen an Sternschnuppenschwärme aufkeimen. Hier und da gibt es perkussive Einstreuungen mit Klick-Klick, zumeist jedoch wechseln Saitenschnarren und -wimmern einander ab. Grelles Himmelsleuchten ist dem Spiel von Meinard Kneer auf alle Fälle zu entnehmen.

Nachfolgend lauschen wir der ersten Kurzgeschichte, die Kneer eingespielt hat. Flinkes Saitenzupfen ist zu vernehmen, mal dichter und mal weniger dicht gefasst. Ein metallenes Schnarren begleitet die Sequenzen, die ein Hin und ein Her suggerieren mögen. Doch auch Momente der Kontemplation fängt der in Berlin lebende Bassist ein. „Die Auseinandersetzung“ lautet der Titel einer weiteren Improvisation. Für einen Tieftöner ungewöhnlich hohe Klangmuster erleben wir. Teilweise hat man den Eindruck, Kneer konfrontiert verschiedene Klangstränge miteinander. Sie könnte man auch als kontroverse Argumentationslinien begreifen. Ein Nein-Nein trifft, so könnte man formulieren, auf ein Vielleicht-Vielleicht oder ein Ja-Ja. Gestrichene Rechthabereien gibt es im Überfluss.

Spitzzüngig sind einige Sequenzen ausgeformt, aufbrausend ebenso. Selbst in der scheinbaren Zurückhaltung im Bogenstrich liegt eine Gereiztheit und Aggressivität. „Sketch l“ ist eine von außerdem folgenden „Skizzen“, die ins Album aufgenommen wurden. Klopfen, Klacken, Klicken, Saitenstolpern, Klanghöhen- und -tiefflüge, Galoppaden – all das findet sich in der ersten Skizze. Hochfrequente Tonfolgen in „Musik für Schmetterlinge“ lassen eher an das Geschrei der Gänse im Keilflug oder der Rast der Kraniche, aber nicht an Schmetterlinge denken. Auch immer weiter findet sich kein Bezug zum Flug und zu dem Nektarsaugen eines Schmetterlings. Eher muss man beim Zuhören an Insekten wie Maikäfer oder an das Zirpen von Grillen denken. Doch dabei übersieht man, dass es nicht die Musik der Schmetterlinge heißt, sondern für Schmetterlinge. Doch Schmetterlinge können doch nicht hören, oder? Sie nehmen also das inszenierte Geschilpe und Gekreische, das Kehlige und das lang gezogene Basslastige nicht wahr, was wir hören.

Wer den Titel „Music for Bumble Bees“ liest, denkt unter Umständen spontan an den „Hummelflug“ von Rimski-Korsakov. Tief brummend ist das, was dank Meinard Kneer an unser Ohr dringt. An einen Formationsflug von Hummel könnte man denken. Doch in Wahrheit fliegen Hummeln nicht im Schwarm, um Nektar zu sammeln. Ein nervöses Saitengestreiche lässt an den wilden Hummelflug denken. Eingefangen werden das Auffliegen und die Suche, um dann auf vollen Blüten zu landen und Nektarbeute zu machen, so ließe sich der Höreindruck in Wortbilder einbinden. Industrial Noise ist eine weitere Charakterisierung für die Musik, wäre da nicht ein Titel, der in eine andere Richtung weist.

© ferdinand dupuis-panther

http://meinradkneer.eu
http://evilrabbitrecords.eu


Manfred Junker Organ Trio feat Elisabeth Berner/Tony Renold - Look out!
mochermusic


Manfred Junker spielt seit dem 12. Lebensjahr Gitarre. Mit 16 Jahren zog es ihn mehr und mehr zum Jazz, nach einem klassisch ausgerichteten Gitarrenunterricht und frühen Erfahrungen in Rockbands. Sein Studium führte ihn in den 1990er Jahren nach St. Gallen und ans Berklee College of Music in Boston. Zurzeit lebt er am Bodensee und unterrichtet in der Schweiz. Junker hat unterdessen 13 CD-Veröffentlichungen vorzuweisen. Mit der Organistin Elisabeth Berner und dem Drummer Tony Renold hat er „Look out!“ eingespielt. Die Zusammensetzung des Trios ist von der instrumentalen Besetzung her für ein Trio eher ungewöhnlich.

„Oddity“, „Taking Care“ und „Look Out!“ heißen die ersten drei Kompositionen von Junker zu Beginn des vorliegenden Albums. Bereits nach den ersten Takten des Eröffnungsstücks wird deutlich, dass der Gitarrist seine Sequenzen in großen Bögen angelegt hat und diese über dem flauschigen Klangteppich schweben, den die Organistin ausgerollt hat.

Zeitweilig hat man den Eindruck, dass bei „Oddity“ der Orgel die Rolle des Kontrabasses zufällt, allerdings nicht in den solistischen Passagen, die auch klangliche Höhenflüge erklingen lassen. Und das alles ist obendrein noch groovy und teilweise in der Tradition von Jimmy Smith, oder? Sobald Manfred Junker sich wieder des Themas annimmt und dieses mit feinen klanglichen Schleifen und Schlingen versieht, fühlt man sich der Traditionen der Jazzgitarre im Sinne von Jim Hall und Joe Pass sehr nahe.

Dieser Traditionsbezug schlägt sich auch in „Taking Care“ nieder. Strukturell gleicht das Arrangement des Stücks dem Eröffnungsstück. Den Zuhörer umweht ein laues Klangwindchen Dank an das Fingerspiel von Manfred Junker. Das franst nie aus, verwässert nicht, sondern setzt Akzente auf den Punkt. Vibrierend ist das, was die Organistin zum Gelingen des Stücks beiträgt. Dabei verfängt sie sich auch in tieftönigen Gefilden, lässt Klangwogen auf- und niedergehen. Dazu vernehmen wir intensives Blechgeschwirr, wenn die Becken durch den Drummer in Schwingungen versetzt werden. Ein Hauch von Blues und Groove liegt in der Luft. Nicht der Gitarrist des Trios, sondern die Organistin eröffnet „Look out!“. Mit pastellfarbigen Weichzeichnungen ließe sich umschreiben, was an unser Ohr dringt.

In gleichem Fahrwasser gleitet auch Manfred Junker mit seinem Saiteninstrument dahin. Wie auch zuvor steht die Schönheit des Melodischen im Fokus. Um ein Bild zu bemühen, könnte man die Musik mit im Wind kreuzenden Seglern auf kabbeligem Wasser in Verbindung setzen. Tusch und nochmals Tusch sowie schimmernde Klänge der Gitarre – das macht nicht allein den Beginn von „Camouflage“ aus. Ausgefeilte Klangflächen sind nicht nur in „Camouflage“ auszumachen, sondern auch in dem durchaus als temporeich zu bezeichnenden „Lean Cuisine“. Schließlich heißt es zum Schluss „Quiet One“. Sphärenklang steigt langsam aus dem Off auf. Zwischen Oboen- und Flötenregister changiert dann das, was die Organistin uns hören lässt. Teilweise vernimmt man kristalline Klangmomente und ein Beckenrauschen. Ganz still ist es entgegen nie, auch und gerade dann nicht, wenn sich Manfred Junkers weiches Klanggewebe mit dem Klangflor der Orgel vereint. Doch eine meditative Ausstrahlung besitzt das Stück schon.

© ferdinand dupuis-panther

http://www.mochermusic.com
https://www.manfredjunker.com


Rupi - Die Sonne
JazzSick Records


Beim Album „Die Sonne“ handelt es sich um ein Konzeptalbum und zugleich um das Debütalbum des Bassisten Wolf-Ruprecht „Rupi“ Schwarzburger. Bereits 1999 wurde es veröffentlicht und nun über das Label JazzSick Records erneut aufgelegt.

Wolf-Ruprecht "Rupi" Schwarzburger ist als ein Spezialist für Jazz, Funk, Blues und R&B anzusehen. Geboren wurde Schwarzburger 1956 in Gelsenkirchen, und er wuchs in einer Musiker-Familie auf. Zunächst erlernte er das Spiel auf der Geige, wechselte in der Folgezeit zum Kontrabass und schließlich zum Fender Bass. Am Ende der 1970er Jahre wurde Schwarzburger regelmäßig für Gigs gebucht, spielte beim Latin Circus von Christoph Spendel und arbeitete an Filmmusiken und Commercials. Auf der Bühne stand er unter anderem mit Jennifer Rush, Terence Trent d'Arby und Bläck Föös.

Nun also kreist Schwarzburger mit einer Reihe von Mitstreitern – darunter allein sechs Saxofonisten – musikalisch um die Sonne, deren „Feuerschein“ man auch auf dem CD-Cover sieht. Aufmacher des Albums ist die Komposition „Die Sonne“: Klangaufladungen treffen dabei auf Perkussionsgeklicke und einen vollmundigen E-Bass, der uns glauben macht, er zeichne die Bahn der Sonne nach. Sphärisches Zischen trifft auf stampfende Rhythmik. Techno scheint nicht sehr fern, Psychedelisches auch nicht. Ringförmige Klangwellen breiten sich aus und vergehen. House und Acid gehen eine Verschmelzung ein, derweil der nachhaltige Rhythmus pochend seinen Lauf nimmt. Ist da nicht auch Saxofongekrächze zu hören? Hier und da hat man den Eindruck, Motown und Isaac Hayes würden auch zur Klangmelange der Sonne beigesteuert haben. Das gilt insbesondere bei den Vokalanteilen zum Ende des Stücks.

Nachfolgend hören wir das Stück „Sachensucher“. Wiederkehrende harte Beats, auch Afro Beats, ausufernde Vibrationen, mit Hall unterstützte Stimminterventionen gehören zum Flickenteppich des Klangs, den rupi uns präsentiert. „Let's switch back in time“ - so ist am Beginn von „Goodbye porkpie hat“ (comp Ch. Mingus ) zu hören. Ein überzeugendes Flötensolo und ein vereintes Saxofongebläse sind charakteristisch im Verlauf des Stücks, das alles hat, was in der auf dem Album eingespielten Form für Fusion kennzeichnend erscheint. Ursprünglich war die Mingus-Komposition als Blues mit 12 Takten konzipiert. Nun aber meint man, ein wenig Jeff Beck und auch Jim Morrison in der aktuellen Einspielung herauslesen zu können. Gewaltig ist das Saxofongebläse gepaart mit feinen Linien des Keyboards und der Querflöte. Zurückhaltend ist hingegen das Schlagwerkspiel.

Thematisch scheint das Stück wieder zum Anfang des Albums zu führen, auch wenn die Komposition „Sonnenstrahlen“ heißt und nur wenige Momente des Albums ausfüllt. „Ein heißer Tag“ wird auch durch den kurzen eingesprochenen Text angekündigt. Kurze Beats vereinen sich mit tief gegründeten Rhythmusschlägen. Klangspiralen entwickeln sich nach und nach mittels Samplings. Wabernde Keyboards sind mit im Spiel; elektronische Effekte sind beigefügt. Wildes klickendes Drumming im Sekundentakt ist bis zum Ende zu vernehmen. Röhrende und röchelnde Klangschlieren sind Additive zum musikalischen Geschehen.

Zum Schluss führt uns rupi an den Strand, wenn „Am Strand“ erklingt. Ein Konzeptalbum wäre kein solches, wenn nicht das Hauptthema aus „Die Sonne“, das wir bereits zu Beginn des Albums gehört haben, nicht auch am Ende zu hören ist, oder?

Line-up:

Wolf-Ruprecht „Rupi“ Schwarzburger: Bass, Fretless Bass, Bass FX, Voice / Thomas „Topo“ Freier:Sound, FX, Horn Arrangements, Tenor Sax / Jürgen Dahmen – Fender Rhodes, Hammond Organ / Fares Naber – Keys, FX, Fender Rhodes/Dodo N’Kishi – Drums, Vocals / Selman Sezek – Darbuka, Percussion / Valerie Kohlmetz: Percussion, Zwergendudelsäcke, FX / Andy Zingsem: Voice / Pamela Falcon: Vocals / Josef Götz Jr.: Vocals, FX; Woodwinds: Olli Leicht – Alto Sax / Reiner Witzel – Alto Sax (Solo) / Peter Heidl – Tenor Sax, Flute/ Thomas „Topo“ Freier – Tenor Sax / Marcus Bartelt – Bariton Sax

© ferdinand dupuis-panther

www.schwarzburger.com


Albert Mangelsdorff The Jazz Sextet - mig music
NDR moosicus


Die Aufnahme, ein ganz früher Mangelsdorff, entstand im Rahmen einer Europa-Tournee des Jazz-Sextetts. Neben Albert Mangelsdorff an der Posaune brillieren in den Konzertmitschnitt im Studio 10 des NDR aus dem Jahr 1957 (sic!) die beiden Cool- und Westcoast-Meister, die sich im Orchester von Stan Kenton kennengelernt hatten, Bob Cooper (Klarinette – Saxophon – Oboe) und Bud Shank (Tenorsaxophon und Flöte), der Gitarrist Attila Zoller, der Drummer Karl Sanner sowie ein 22-jähriger Gary Peacock am Bass. Für Jerome Kerns “Yesterdays” gesellt sich gar noch der Klarinettist Tony Scott zum Ensemble, und mit ihm verwandelt sich das Stück – für diese Zeit außergewöhnlich lang – zu einer 20-minütigen Reise um die Welt. Doch das bleibt die Ausnahme. Geboten wird ansonsten ein Repertoire, das in erster Linie aus Standards u. a. von Shearing und Gershwin besteht.

Das Sextett verzichtete auf den Einsatz eines harmonisierenden Klaviers und verteilte Klangfärbungen auf die jeweiligen Instrumente: die Posaune Mangelsdorffs, die Saxofone der beiden Cool- und Westcoast-Meister Bob Cooper und Bud Shank, die Gitarre Attila Zollers, das Schlagzeug Karl Sanners und den Bass Gary Peacocks.

Mit Gershwin's „Love Is Here To Stay“ eröffnet das Sextett die Session. Bass und Gitarre sorgen vornehmlich für die rhythmische Unterfütterung des Spiels von Saxofon und Posaune. Letztere ist vibrierend, kehlig-vollmundig unterwegs und im Wechselgesang mit den Saxofon zu vernehmen. Attila Zoller erhält in einem eingestreuten Solo den Raum für Entfaltung zur Umspielung des Themas. „These Foolish Things(Remind Me Of You)“ hören wir nachfolgend. Es ist an Zoller das Stück zu eröffnen, ehe dann Bob Cooper auf der Oboe zu vernehmen ist. Oboe ist im Jazz heute völlig aus der Mode gekommen und wird eigentlich der klassischen Orchestermusik zugerechnet. Im Klang balanciert Cooper zwischen Sopran- und Altsaxofon. Warm in der Tönung ist das Solo des Flötisten Bud Shank. Eher ins Umbra tendiert hingegen Mangesldorff mit seiner Posaune, der das musikalische Feld im Folgenden gehört.

Ein besonderer Hörgenuss sind die Passagen, in denen sich Flöte und Oboe gleich einer Doppel-Helix in ihren Klanglinien verschränken. „Lullaby Of Birdland“ wurde von George Shearing, einem Zeitgenossen Gershwins, komponiert und bereicherte das Repertoire des Sextetts. 1952 entstand der Titel als Hommage an den Jazzclub Birdland und zugleich an Charlie Bird Parker, der nur 34 Jahre alt wurde. Ihn raffte wie viele andere Jazzer die Drogensucht dahin.

Die Verszeilen wie „Oh, lullaby of birdland, that's what / I Always hear when you sigh, / Never in my wordland could there be ways to reveal/In a phrase how I feel …“ müssen wir bei der instrumentalen Version des Sextetts um Mangesldorff mit im Sinn haben. Nachhaltig bleibt das aufgeweckte Flötenspiel von Bud Shank im Gedächtnis, der sich auf ein Wechselgespräch mit dem Oboisten Bob Cooper einlässt. Dunkle Farbpigmente mischt danach Mangelsdorff dem Stück bei. Doch dies ist nur als Intermezzo anzusehen. Peacock und Zoller tragen nämlich auch zur Abrundung des Stücks bei. Nicht zum ersten Mal kann man feststellen, dass das Sextett auf Augenhöhe agiert und jedes Ensemblemitglied Raum der Entfaltung erhält.

Nach Gershwin's „Embraceable You“ mit einem sehr schönen Gitarrensolo Zollers lauschen wir gebannt „What A Difference A Day Made“. Nun ist Bob Cooper wieder am Saxofon zu hören, durchaus als Kontrapunkt zu Mangelsdorffs Posaune zu verstehen. Immer wieder bringt sich bei diesem Stück Attila Zoller mit feinsten Saitenziselierungen ein. Außergewöhnlich lang, nämlich 20 Minuten lang, fällt „Yesterdays“ aus. Erstmals ist dabei der Klarinettist Tony Scott zu hören. Fein-zerbrechlich und samten ist das, was wir von ihm zu hören bekommen. Summend und schnurrend steigt Cooper auf das ein, was Scott vorgeträgtt. Exaltiertes Saxofonspiel ist nicht Sache von Cooper. Das Tempo bleibt gemäßigt. Man könnte beinahe von einer Ballade reden, lauscht man dem Stück. Zwischen Kehl- und Gaumenlauten wechselt Mangelsdorff mit seinem Blasinstrument. Und dann ist wieder Cooper an der Reihe, mit sanftem Gebläse, das die Höhen nicht ausspart. Auch Zoller trägt  melodisch zum Gesamtklangbild bei. Und dann, ja dann steht  eine „schnellläuferische Klarinette“ mit gebrochener und ungebrochener Stimme im Fokus des Geschehen. Das Saxofon stellt sich allerdings im Fortgang nicht hinten an, sondern zeichnet sich durch forciertes Spiel aus.

Mit „Scrapple From The Apple“, einer Hommage an Charlie Bird Parker, enden die historische Session und die musikalische Zeitreise in die späten 1950er Jahre.

©  ferdinand dupuis-panther

www.mig-music.de
https://www.ndr.de/kultur/musik/jazz/index.html


Tony Lakatos - Live in Tokyo
fon trade music


Der in einer Musikerfamilie aufgewachsene Tony Lakatos ist einer der gefragten Tenorsaxofonisten. Zunächst erlernte er die Geige und spielte im Ensemble des Vaters, der ein angesehener Roma-Musiker in Budapest war. Doch mit 16 Jahren entdeckte Tony Lakatos die Liebe zum Saxofon. Ein begnadeter Geiger war er halt nicht und durfte daher im Ensemble des Vaters im Gegensatz zu seinem Bruder Roby keine Soli spielen, sondern eher im Hintergrund als Begleitung agieren.

Zwei Jahre nach seinem Studienabschluss am Budapester Konservatorium siedelte Tony Lakatos in den frühen 1980er Jahren nach Deutschland um, dank auch an Toto Blanke, der damals in der westfälischen Provinz, in Paderborn, lebte. Zurzeit ist Lakatos noch Mitglied in der hr Big Band. Er wird jedoch dieses Orchester 2021 verlassen und in den Unruhestand wechseln. Gemeinsam mit dem Pianisten Kálmán Oláh, dem aus Münster gebürtigen Bassisten Ugonna Okegwo und dem Drummer Jonathan Blake trat Lakatos in Tokyo auf. Der Mitschnitt des Livekonzert liegt nun vor.

Neben Standards wie „All or Nothing at All“, „I Remember April“, „Polka Dots and Moonbeams“ sowie „Like Someone in Love“ hört man auf dem Livemitschnitt Joe Zawinuls „Young and Fine“ sowie die „Little Break from Hoagy“, ein Song aus der Feder von Lakatos, sowie „Night Silence“, geschrieben von Kálmán Oláh. Was wir hören ist aus einem Guss und verdeutlicht, dass Lakatos tief im Bop und Modern Jazz verwurzelt ist. Selbst ein Stück von Joe Zawinul verliert den Charakter von Fusion Music, wenn Lakatos und seine Mannen „Young and Fine“ spielen. Kein Wunder, denn Keyboards, wie sie Zawinul bevorzugte, spielt Kálmán Oláh halt nicht. Was wir als Interpretation des Quartetts hören, erscheint eher in der Tradition von Bop angereichertt mit einer Swing-Gewürzmischung.

Zumeist kennt man „All or Nothing at All“ von Frank Sinatra, der in einer Aufnahme mit dem Harry James Orchestra zur Popularisierung des Songs beitrug. Auch John Coltrane, Billie Holiday und selbst Randy Brecker hatten diesen Song der späten 1930er Jahre im Repertoire. Perlend ergießen sich zu Beginn die Klaviersequenzen, ehe dann Lakatos mit großer Sensibilität auf seinem Holzbläser das Thema intoniert, sacht, sanft und jenseits des Vorlauten, das ansonsten dem Saxofon nachgesagt wird. Dass Lakatos jedoch auch entfesselt aufspielen kann, getrieben durch Schlagwerkwirbel, zeigt sich im weiteren Verlauf. Da röhrt und röchelt das Saxofon, das über weite Strecken für die vorherrschende Klangfarbe zuständig ist. Etwa zur Hälfte des musikalischen Vortrags ist es dann an Kálmán Oláh variantenreich das Thema vorzutragen. Rhythmische Akzente setzt dazu Jonathan Blake. Schließlich gibt es auch stille Momente, die der Bassist Ugonna Okegwo mit Umspielungen des Themas füllt.

„Night Silence“ ist in ruhigem Fahrwasser angesiedelt. Als Steuermann fungiert Tony Lakatos, der mit sattem Windsäuseln für Aufmerksamkeit sorgt. Perlend und mit Trillern sorgt der Pianist für einen Gegenpol zum Saxofon, das hier und da in seinem Klang ins Sirenenhafte abschweift. Nachfolgend hören wir schnurrende Saxofonpassagen zum dramatisch ausgeformten Schlagzeugspiel. Spät, aber nicht zu spät kommt auch der Pianist und Komponist zu Wort. Sein Spiel gleicht dem Dahinrinnen der Zeit. Doch Nachtstille erleben wir nicht, denn dazu gibt es zu viel nervöses Schlagzeugspiel und kaskadierendes Tastenspiel.

Bei „Little Break from Hoagy“ meint man, die Gebrüder Adderley hätten an der Komposition mitgeschrieben. Eine gewisse Swingnote ist nicht zu überhören. Das ist sicherlich auch dem Schlagwerker Jonathan Blake geschuldet. Lakatos lässt seinem Holzbläser freien Lauf und auch Oláh gibt sich unbändig in seinem Kaskadentanz, Abschließend noch eine Bemerkung zu „I remember April“: Veröffentlicht wurde der Song 1941 und fand ein Jahr später in einer Filmkomödie Verwendung. Woody Hermann, Nat King Cole und auch Cannonball Adderley hatten die Komposition von Gene de Paul in ihrem Programm und sorgten für die Popularisierung des Stücks. Und nun also sind es Lakatos und Begleitung, die diesen Standard eingespielt haben. Es ist wie in anderen Stücken auch so, dass Lakatos musikalisch Regie führt. Surrend, singend und schnurrend ist sein Saxofon zu hören. Ähnlich quirlig wie Lakatos ist auch Oláh an seinem Tastenmöbel zu erleben. Schließlich ist auch ein veritables Schlagzeugsolo in den Vortrag eingebunden!

©  ferdinand dupuis-panther

http://www.tonylakatos.com/Tony_Lakatos/WELCOME.html


Lorenz Kellhuber - Live at the Montreux Jazz Festival
blackbird music


Als Solist am Klavier präsentierte sich Lorenz Kellhuber auf einem der rennomiertesten Jazzfestival der Welt. Zu hören ist das komplette frei improvisierte Konzert nebst zwei Zugaben. „Unter Lorenz‘ Fingern entspinnen sich Welten irgendwo zwischen Jazz, Klassik und Minimal Music. Und das klingt mal sphärisch-verträumt, mal kristallklar, mal scharf und betörend.“ So lautet die Charakterisierung des Pianisten und seines Spielansatzes in BR Klassik. Und wie verlief der Lebensweg des 1990 als Sohn zweier Kirchenmusiker geborenen Pianisten? Er genoss zunächst eine klassische Ausbildung und studierte in sehr jungen Jahren an der Hochschule für Kirchenmusik in Regensburg. Mit 16 Jahren erhielt er aufgrund einer Hochbegabtenprüfung die Chance, am Jazz-Institut Berlin zu studieren. Zu seinen Dozenten zählten u.a. John Hollenbeck und Kurt Rosenwinkel. Zudem hielt er sich mehrfach in New York auf, um bei Fred Hersch Unterricht zu nehmen. 2010 beendete er sein Studium in Berlin mit einem Bachelorabschluss.

Kristalliner Klang und brechendes Eis vermeint man, in „Opus 1.1“ zu hören. Ein rinnendes Rauschen dringt außerdem ans Ohr des Zuhörers. Weißes Wildwasser fängt der Pianist zudem für uns ein. Alles ist im steten Fluss, ohne verwässert anzumuten. Zuweilen kann man das Spiel auf den weißen und schwarzen Tasten als perlend charakterisieren. Kehrwasser sind auszumachen, ebenso kleine Klangstrudel und Kaskaden. Lorenz Kellhuber verzichtet bei seinem Spiel nicht auf die dunklen Färbungen des Klangs, allerdings ist er doch überwiegend mit Klangbildern befasst, die smaragdfarben, frühlingsgrün und zitronengelb schimmern. Eine Spur von verwischtem Ragtime ist in dem Opus auch zu finden. Auch Tempowechsel sind Kellhuber nicht fremd. Ist er nicht obendrein auf den Spuren von Erroll Garner unterwegs? Man mag es meinen, insbesondere im letzten Teil des Opus.

Weiter geht es mit „Opus 1.2“. Der Beginn des Stücks erscheint getragen und von Schwermut geprägt. Schwingen da nicht auch Grieg und Sibelius mit? Nicht zu überhören sind die dramatisierenden Linien, die der Pianist Stück für Stück verfolgt. Insgesamt kann man sich jedoch des Eindrucks nicht erwehren, dass sich im Stück die Farben des grauen Novembers und die eisige Winterstarre der nachfolgenden Monate aufspüren lassen. Das ist nicht ungebrochen, denn auch frühlingshafte Töne vernehmen wir. Und hört man nicht während des Vortrags gleichsam Kirchenglocken Sturm läuten? „Opus 1.3“ schließt sich an und kommt mit einigen aufgewirbelten Klangpassagen daher. Dunkel schimmernde Gewässer setzt Kellhuber nachfolgend in seinem in Klanggebilden um in denen eine akzentuierte Basshand auszumachen ist. Windbruch, der in einen reißenden Gebirgsfluss gestürzt ist, sehen wir während des musikalischen Vortrags vor unserem geistigen Auge. Der Widerhall des tosenden Wassers fängt sich an Felswänden, so könnte man beim weiteren Zuhören meinen.

Als Zugabe ist das eher lyrisch abgestimmte Stück „Little Wing“ zu hören. Das nervöse Flügelschwirren eines Kolibris ist nicht zu hören, aber lange Flügelschläge für den Gleitflug in aufsteigender Thermik, oder? Und zum Schluss des Konzertes heißt es dann „Can't Find My Way Home“.

© ferdinand dupuis-panther

www.lorenzkellhuber.com
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