3 x Caligola Records Sommer 2025

Various
Caligola Records
Andrea Ferrari / Silvia Bolognesi / G. Casati - R. Rossi - M. Polga - M. Tonolo - M. Abrams - E. Smiderle
Andrea Ferrari - Liquid Walls
Caligola 2361
„«Liquid Walls» is a reflection on unity, nature’s harmonic action and the divisions brought about by human nature. Andrea Ferrari is a multi–instrumentalist who plays both baritone and alto saxophone, but excels at clarinet, especially bass clarinet. On this new project, he turned the trio that played on the album «Essential Lines» (2019) and consisted of Alberto Zanini and Davide Bussoleni into a quintet. … On «Liquid Walls» Andrea chose to be backed up by the bassoon, an instrument whose dark, low tones are infrequently used in jazz but is played by Roger Rota with incredible expertise and ability. It proved to be the right decision as it lent new and stunning colors to his music, which has always been open and yet well–structured.“
So lesen wir über das Album. Fürwahr die Instrumentierung des Quintetts ist eher außergewöhnlich, insbesondere bezogen auf das Fagott und dazu noch Bassklarinette und Baritonsaxofon. Da werden vor allem dunkle Klänge bedient, die an Umbra, Siena und Ocker, als Erdtöne denken lassen. Zugleich kennt man das Fagott eher aus der klassischen Musik, so wundert es nicht, dass einige Passagen auf dem Album durchaus an konzertante Klassik erinnern. Gleichsam als Antipoden agieren der Gitarrist Alberto Zanini und Andrea Ferrari auf der Klarinette. Ein besonderer Hörgenuss ist die Zwiesprache zwischen Fagott (Roger Rota) und Klarinette in zahlreichen Stücken des Albums, so auch in „Games“.
Aufgemacht wird das Album mit dem temporeichen „Blue Corner“ und einem Duo zwischen Fagottist und Baritonsaxofonist, der sich im Laufe des Stücks aus der Zweisamkeit löst und solistisch agiert. Hier und da setzt dann der Gitarrist Alberto Zanini feine musikalische Akzente. Derweil schafft Andrea Ferrari einen Klangteppich für den Gitarristen, der mehr und mehr Klangraum einnimmt. „Hochtönige Klarinettenklänge“ vereinen sich mit Gitarrenriffs. Und ist da nicht auch ein Sopraninosaxofon mit im Spiel? Klangbündelungen und Klangauflösungen – das ist die Rezeptur für das Stück und ein gerüttelt Maß an Baritongebläse und an „Fagottkehllauten“.
Weiter geht es mit „Kontinuum“ – wie alle anderen Tracks aus der Feder von Andrea Ferrari. Dieser greift in diesem Stück zum Altsaxofon. „Kehlgesang des Fagotts“ sowie ein reger Rhythmus, der ans systematische Händeklatschen erinnert, ist zu hören. Das Stück hat aber auch Momente von klanglichem Wirrwarr, von Aufruhr, von Revolte, so könnte man meinen. Federführend sind dabei die Bläser. Wimmernde und jaulende Gitarrenklänge dringen an unser Ohr, nebst Schlagwerkgewitter. Zu einer „Rhythmuseinheit“ vereinen sich Fagott und Saxofon. Raum für ein Solo des Fagottisten ist auch gegeben.
In „Ossa danzanti“ bittet der Klarinettist zum Tanz, derweil der Fagottist für die Basslinien sorgt. Beiden gemein ist eine Art galoppierender Rhythmus, den sie jeweils umsetzen. Aber auch zurückgenommene langsamere Passagen nehmen wir wahr. Während des Hörens überlegen wir, ob mit dem Titel eigentlich der „Totentanz“ gemeint ist. Wenn ja, dann wird dieser von den Musikern als sehr flottes Tänzchen umgesetzt, auch vom Fagottisten in seinem klassisch anmutenden Solo. Und auch der Klarinettist entspricht in seinem Spielduktus eher der klassischen Musik. „Dance of Wild Wood“ scheint beinahe wie eine Fortschreibung des „Totentanzes“. Distinkt ist die Bass-Setzung durch das Fagott und die Melodielinie durch die Klarinette. Der Wechselgesang zwischen Fagott und Baritonsaxofon ist ein akustischer Leckerbissen. Dabei drängt sich auch die Nähe zu Volkstänzen auf, die das Ensemble paraphrasiert. Mit „In isole“ schließt sich die Klanggouache, die das Ensemble uns auftischt, teilweise auch im Duktus an einen Kanon erinnernd.
© fdp 2025
Musicians
Andrea Ferrari (bass clarinet, clarinet, alto and baritone sax)
Roger Rota (bassoon, sopranino sax)
Alberto Zanini (electric guitar, live electronics)
Loris Leo Lari (electric bass)
Davide Bussoleni (drums)
Tracks
1) Blue Corner
2) Kontinuum;
3) Density
4) Ossa danzanti
5) Megatone;
6) Living Rocks
7) Games
8) Dance of Wild Wood
9) Drops
10) In isole
All compositions by Andrea Ferrari
Recorded, mixed an mastered in February 2023 by Stefano Amerio, at Artesuono Recording Studios, Cavalicco (Udine), Italy.
Silvia Bolognesi - Jungle Duke
Caligola 2362
Silvia Bolognesi, Kontrabassistin aus Livorno, ist seit langem eine der wichtigen Jazzerinnen in Italien. Zu nennen ist an dieser Stelle ihre Zusammenarbeit mit Roscoe Mitchell und Butch Morris, aber auch mit Tiziano Tononi und Marco Colonna, um nur einige Namen fallen zu lassen. Zudem hat sie eine Reihe von eigenen Bands zusammengestellt, vor allem Großformationen wie Open Combo und Fonterossa Open Orchestra. Zu nennen ist zudem Hear In Now, ein Trio mit Tomeka Reid am Cello und Mazz Swift an der Violine. Aktuell ist es eine Hommage an Duke Ellington, die die Bassistin uns präsentiert. Wir lesen: „The double bass player carried out such feat by leading a sextet of friends–musicians that were fully committed to the project – from the trusted Emanuele Parrini, Tony Cattano and Emanuele Marsico, the latter also a fine vocalist on this project, to the promising Guglielmo Santimone and Sergio Bolognesi, plus Nick Mazzarella on alto sax. Francesco Martinelli penned the following liner notes: ”…Following in the footsteps of Lacy, Rudd, Mengelberg and Mangelsdorff, Silvia and her group renew the beauty of these pieces through the combination of original improvisations –echoes of songs by Ellington can be heard – and audio portions of sounds and voices, including Ellington’s own voice, that are replete with their aura and contrast with the freedom and improvisation of the band.“
„The Mooche“ steht am Beginn und in einer Variation am Ende des Albums. Beim Hören hat man den Eindruck, man lausche nicht dem Ellington Orchestra, sondern Louis „Satchmo“ Armstrong und einem Stück aus dem Füllhorn des New Orleans Jazz. Ganz anders dagegen und viel avantgardistischer mutet die Musik von „Black and Tan Fantasy“, jedenfalls zu Beginn. Danach allerdings hat man das Hörerlebnis einer Broadway-Revue bzw. eines Musicalfilms. Das hat hier und da auch etwas Süßliches. Guglielmo Santimone zeigt sich in einem Pianosolo, durchaus verspielt, aber nicht wässerig-belanglos. Emanuele Marsico lässt seine gedämpfte Trompete kehlig-belegt röhren. Und wieder muss man an Armstrongs Ansatz denken. Eingebunden in die Präsentation von Ellington-Standards sind im weiteren Album einige Improvisationen mit eingesprochenen Texten zum Beispiel über den Klang einer Trompete wie in „Impro No 1 – The Plunger“. In diesem Zwischenspiel geht es um den Dämpfer, der das Trompetenklangbild ändert.
Unbestritten ist, dass Billy Strayhorn ganz wesentlich zum Repertoire der Ellington-Band beigetragen hat. So hören wir nacheinander „Half the Fun“ (D.Ellington, B.Strayhorn); „Such Sweet Thunder“ (idem). Wenn auch Ellington als Co-Komponist genannt wird, liegt die Annahme nahe, dass Strayhorn alleiniger Komponist war. Doch ein schwuler Afro-Amerikaner, der eine Karriere als Pianist und Komponist machte, passte nicht in die Mainstream-Jazzwelt der 50er Jahre. In beiden Stücken fallen die Klavierpartien auf. Daneben dominieren die intensiven Bläsersetzungen. Übrigens in „Such Sweet Thunder“ ist Emanuele Marsico als Vokalist zu hören. Zudem – und das ist ein eigenwilliges Arrangement für Ellingtons Musik – erhebt der Geiger Emanuele Parrini seine Stimme. Von Parrini stammt übrigens die Idee zur „Impro No 2 – Freedom of Expressions“. Quietschende Violine und Trompetengebläse, gezupfte Violinensaiten und eingespielt eine männliche Stimme, die sich zu Freedom of Expressions und Kunst äußert – das ist die Melange der genannten Improvisation. Doch wer äußert sich da zur Meinungs- und Kunstfreiheit?
Wie eine Mischung aus Blues und Lament mutet „East St.Louis Toodle–Oo“ an. Übrigens, eine Nähe zum „St Infirmary Blues“ scheint nicht von der Hand zu weisen sein, jedenfalls in Teilen, vor allem in den Bläserpartien. In einem Solo zeigt sich die Bassistin und Bandleaderin Silvia Bolognesi. Guglielmo Santimone (piano) setzt den musikalischen Reigen fort, dazu der wohl gestrichene Bass und die mit Dämpfer gespielte Trompete. Und auch der Geiger ist bei diesem Stück erneut mit von der Partie, jedenfalls ganz zum Schluss. Getragen und im mäßigen Tempo kommt „Creole Love Call“ daher. Den Gesangspart übernimmt Emanuele Marsico. Schlager oder was? – das mag der eine oder andere beim Hören denken, wenn auch der Trompeter in seinem Solo uns eines Besseren belehrt.
© fdp 2025
Musicians
Emanuele Parrini (violin)
Emanuele Marsico (trumpet, vocals)
Tony Cattano (trombone)
Guglielmo Santimone (piano)
Silvia Bolognesi (double bass, arrangements)
Sergio Bolognesi (drums)
Special guest: Nick Mazzarella (alto sax)
Tracks
1) The Mooche I (D.Ellington, I.Mills)
2) Black and Tan Fantasy (D.Ellington, B.Miley)
3) Impro n. 1 – The Plunger (T.Cattano)
4) Half the Fun (D.Ellington, B.Strayhorn)
5) Such Sweet Thunder ((D.Ellington, B.Strayhorn)
6) Ko–Ko (D.Ellington)
7) Impro n. 2 – The Freedom of Expression (E.Parrini)
8) East St.Louis Toodle–Oo (D.Ellington, B.Miley)
9) The Mooche II (D.Ellington, I.Mills)
10) Impro n. 3 – Listen to Music (S.Bolognesi)
11) Creole Love Call (D.Ellington, B.Miley, R.Jackson)
12) Chicago Stomp Down (J.Johnson, H.Creamer)
13) Diga Diga Doo (J.McHugh, D.Fields)
14) The Mooche III (D.Ellington, I.Mills)
Recorded, mixed an mastered at Shape Shoppe Paradiso Studio, Monteriggioni (Siena), on 26/27 March 2024 by Griffin Rodriguez
G. Casati / R. Rossi / M. Polga / M. Tonolo /
M. Abrams / E. Smiderle - Six Friends for Bicio
Caligola 2364
Über das Album kurze und knappe Worte: „«Six Friends for Bicio» is a project dedicated to Maurizio Caldura Núñez, nicknamed Bicio, who passed away in 1998 aged just 39 and is considered one of the most talented Italian saxophonists of all time. It’s a tribute his dear friend and collaborator Marcello Tonolo strongly wanted to ensure Caldura’s music is never forgotten. The two jazz musicians shared important albums and stages, including in the United States. Caldura had been on the jazz scene since the mid–Eighties, and he played with Giorgio Gaslini and collaborated with Lanfranco Malaguti, Mimmo Cafiero and Tiziana Ghiglioni. He was also a member of pianist Luca Flores’ Matt Jazz Quintet and Keptorchestra, the big band he co–founded with Pietro and Marcello Tonolo and with which he recorded three albums and featured the likes of Lee Konitz, Joe Lovano and Steve Lacy. Caldura was also a respected teacher and Michele Polga, his best pupil, collaborated on this project. The ballad Núñez Dance, dedicated by Polga to his master, has been included in the repertoire of the sextet that only performs tunes composed by the late saxophonist on the rest of the album. It’s worth mentioning the hypnotic samba of Goofy’s Dance, the delicate bossa of Amigável, the Mingus–inspired Bradipo and the glowing Groovin’ Jones. Out of the nine tracks Weeping Radish, which was already on an album recorded with Paul Jeffrey in the United States, is played by the trio without the winds.“
Mit einem Hauch von Latin Fever eröffnet das Album. Zu hören ist der Samba „Goofy’s Dance“ und nachfolgend wechseln wir zu einem Bossa-Rhythmus, wenn „Amigavel“ zu hören ist. Man lausche besonders dem superben Trompetensolo von Giampaolo Casati und der musikalischen Antwort von Roberto Rossi auf seiner Posaune. Die Posaune erleben wir in ihrer Klangvielfalt außerdem bei „Bradipo“. Das hat auch einen Hauch von New Orleans Jazz und nachfolgend nehmen wir den Big-Band-Sound des Sextetts wahr. Ist da nicht auch der Blues präsent, auch wenn Michele Polga am Saxofon zu hören ist? Und dann erleben wir „einen musikalischen Diskurs“ zwischen dem Trompeter und dem Posaunisten der Band. Das ist schon ein besonderes Hörerlebnis.
Im Anschluss steht „Groovin’ Jones“ auf dem Programm. Die Eröffnung gehört dem Bassisten Marc Abrams, der seinen Tieftöner schwirren und schnarren lässt. Kurz ist dann Marcello Tonolo (piano) zu hören, ehe die Bläser das Zepter führen. Was wir dann hören, hat etwas von Filmmusik, von der musikalischen Begleitung von Cinema Noir, oder? Überzeugend ist auch in diesem Stück der Auftritt des Posaunisten, der mit musikalischen Wellenschlägen aufwartet. In einer reinen Triobesetzung wurde das beschwingte „Weeping Radish“ eingespielt. „Núñez Dance“ aus der Feder des Saxofonisten Michele Polga ist schon im Titel eine Hommage an den sehr früh verstorbenen italienischen Tenorsaxofonisten Maurizio Caldura Núñez. Der erste Höreindruck lässt an einen klassischen Jazzstandard und an Duke Ellington denken. Insbesondere die Bläser des Sextetts sind für die Klangmelange des Stücks verantwortlich. Losgelöst agiert der Trompeter in seinem Solo – und auch dabei wird man den Eindruck nicht los, er sei der Solist, der in einer Big Band notwendig ist, um die Klangfärbungen in aller Breite auf die musikalische Leinwand zu bannen.
Bei der Komposition „Mr. PJ“ stellt sich die Frage, wer hier gemeint ist. Abwegig dürfte es sein, an den ehemaligen Ministerpräsidenten von Jamaica P.J. Patterson zu denken. Aber wer dann? Schwingt bei diesem Song nicht auch ein wenig die Musik der Adderley Brothers mit? Zugleich muss man beim Hören auch an Broadway-Shows und an Filmmusik denken. Noch ein Wort zum Abschluss zu dem Schlusstitel „Silly Samba“. Bei diesem Titel verwandelt sich das Ensemble in eines für Tanzmusik ,spezialisiert auf lateinamerikanische Standardtänze. Sehr hörenswert ist dabei auch die Solopräsenz von Michele Polga.
© fdp 2025
Musicians
Giampaolo Casati (trumpet)
Roberto Rossi (trombone)
Michele Polga (tenor and soprano sax)
Marcello Tonolo (piano)
Marc Abrams (double bass)
Enrico Smiderle (drums)
Tracks
1) Goofy’s Dance
2) Amigavel
3) Bradipo
4) Groovin’ Jones
5) Gothic Legend
6) Ink Stains
7) Weeping Radish (*)
8) Núñez Dance (M.Polga)
9) Mr. PJ
10) Silly Samba
All compositions, unless otherwise noted, by Maurizio Caldura (*) only trio without winds
Recorded in November 2024 by Matteo Dall’Aglio, mixed and mastered in December 2024 by Mario Marcassa, at Cat Sound Studio, Badia Polesine (Rovigo), Italy.
https://www.caligola.it