Sketchbook Orchestra – Ungatz

Sketchbook Orchestra – Ungatz

S

ÖR1 Jazz

Wer ein Skizzenbuch als Künstler mit sich führt, der hält in ihm Ideen und Motive zumeist mit flüchtigem Strich oder in schnell aufs Blatt geworfenen Aquarellen fest. Und was bedeutet ein solcher Name wie Skizzenbuch-Orchester für ein 14-köpfiges Ensemble? Kreist dessen Musik um musikalische Skizzen, um musikalische Gedankensplitter, um Fragmentarisches? Wohl auch, aber vor allem ist ein solches Orchester ein gewaltiger, farbenfroher Klangkörper, der alles verarbeitet, was zeitgenössische Musik ausmacht, einschließlich musikalischer Zitate. Einst als Quartett gestartet, ist die Formation des Saxofonisten und Klarinettisten Leonard Skorupas unterdessen um zahlreiche Köpfe gewachsen, die Persönlichkeiten der heimischen zeitgenössischen Musikszene Österreichs repräsentieren. Unter anderem ist dabei Wolfgang Puschnig, seines Zeichens einer der bekanntesten österreichischen Jazzsaxofonisten, zu nennen. Zum Ensemble gehören außerdem u. a. Andi Tausch (Gitarre), Raphael Preuschl (Bass-Ukelele), Michael Tiefenbacher (Piano) und Konstantin Kräutler (Schlagzeug) sowie als Dirigent und „Orchestermeister“ Gerd Hermann Ortler, der zu den führenden Vertretern seiner Zunft zu zählen ist. Eine Streichergruppe mit zwei Geigerinnen, einer Violaspielerin und einer Cellistin geben dem Klangkörper Sketchbook Orchestra eine besondere, hier und da klassische musikalische Note. Der Trompeter Daniel Nösig, der Posaunist Martin Grünzweig und der Bassklarinettist Daniel Moser sind ebenfalls Ensemblemitglieder. Mit einer musikalischen Exkursion durch die thailändische Metropole Bangkok beginnt das vorliegende Album. Es enthält zudem Stücke wie „Funky Diabetic“, „Status Seeking“, „Postmoderne Beliebigkeit“ und schließlich „Zwischen den Zeilen“. Man meint, ähnlich wie bei einem Breitband-Film im Kino an einem Breitband-Erlebnis, aber nun in Klangform, teilzuhaben. Dabei schreckt das Ensemble auch nicht davor zurück, zum Beispiel bei „Funky Diabetic“ auf die Hip-Hop-Gruppe „A Tribe Called Quest“ als Inspirationsquelle zurückzugreifen.

Tusch verwischt, Tusch verwischt, Trommelwirbel, Blechgeschwirr – so macht „Bangkok“ auf und dann lauscht man einer Blaskapelle mit Marschanlehnungen. Und auch die Streicher, wenn sie denn an der Reihe sind, scheinen sich dem Marschgebläse zu unterwerfen. Zugleich hat man aber auch die Vorstellung einer hektischen Großstadt. Und dann nehmen wir noch Splitter von Ravel wahr, oder? Gewaltig sind die vereinigten Bläser, die mit abgestuften Klangfarben „Bangkok“ einfangen. Dann scheint es einen Bruch zu geben, sobald der Pianist zu seinem Solo ausholt, teilweise in fließenden Linien, teilweise in harten Tastenschlägen. Doch diese werden überlagert von den sprudelnden Kaskadierungen, die vom dumpf gestimmten Bass begleitet werden. Kurz blitzen auch die Ausschmückungen der Streicher auf. Die musikalische Inszenierung ist nicht ohne Dramatisierung, wozu sich besonders die Bläser des Ensembles berufen fühlen. Derweil folgen wir aufmerksam dem klangvollen Wildwasser, das der Pianist unabhängig aller anderen Musiker auf die Klangleinwand skizziert. Tiefe Posaunentöne vereinen sich mit lang gestrichenem Cello. Eine kurze Zäsur folgt und dann vernehmen wir die Streicher in klassischer Attitüde und den rockig agierenden Gitarristen, die sich zu einer Melange vereinen. Das hat durchaus eine gewisse Balance und taucht nicht ausschließlich in die Welt von Deep Purple ab. Nachfolgend vernimmt man eher sphärische Klänge. House-Anmutungen stoßen auf Klassikpassagen; Sinusklänge auf harte Tastensetzungen; ein scheinbar elektronisches Klangspektakel entpuppt sich als verfremdeter Gitarrenklang, der sich nach und nach zwischen Black Sabbath und Uriah Heep einpendelt. Let's rock Bangkok scheint das Motto, ehe die Bläser gegen Ende in das Thema zurückfinden und wir beim Hören an Blood, Sweat & Tears denken müssen, oder? Nach diesem opulenten und fulminanten Beginn geht es mit „Funky Diabetic“ weiter. Ja, ein bisschen an „Shaft“ angelehnt scheint das Stück, aber nicht an Les McCann. Die Bläser sind omnipräsent und in ihrem Aufbrausen nicht zu überhören. Aber es gibt auch die sanfteren Töne, wenn wir teilweise spitzzüngige Flötentöne vernehmen, die uns in die Welt der Renaissance entführen. Zugleich tauchen wir im Fortgang des Stücks in die Welt von irischer Folklore ein. Als Zwischenschritt ist ein kurzes Zitat aus dem Schatz von Beethoven eingebunden, der aber rasch aus unserem Hörfeld verschwindet. Schließlich scheint irgendwie auch die Musik der Brecker Brothers im Geiste mitzuklingen, oder?

„Status Seeking“: Wie in einer klassischen Ouvertüre beginnen die Streicher. Dabei drängen sich die Vorstellungen auf, Musik des ausgehenden 18. und 19. Jahrhunderts werde hier vorgetragen. Teilweise wohnt der Musik der Streicher durchaus eine gewisse Elegie inne. Komödiantisches hat die Musik nicht, bis der Klarinettist das Wort ergreift. Er scheint kurz in die Rolle des Bruders Leichtfuß zu schlüpfen, ehe sich dann die Streicher in einer Form von gehobener Kaffeehausmusik wiederfinden, ohne zum Tanz aufzuspielen. Doch dann, ja dann tauchen wir mit dem Ensemble in die Welt von Broadwayshows ein, in die der animierenden Tanzrevuen mit und ohne Fred Astaire und in die der amerikanischen Tanzorchester. Dabei genießen wir außerdem die Soli der beiden Saxofonisten des Ensembles: Wolfgang Puschnig und Leonard Skorupa, die zwischen Swing und Bop zu wandeln scheinen. Übrigens, auch ein wenig Vaudeville scheint in dieses Stück eingewoben worden zu sein. Zum Schluss lauschen wir noch einem Pizzikato und sind dann wieder in der Welt der Kammermusik, deren musikalische Schraffuren sich mit dem Orchesterklang einer Big Band kreuzen.

Namensgebend fürs Album ist das Stück „Ungatz“. Dabei wird Bezug auf den Film „Lucky“ genommen, wie man dem Booklet entnehmen kann. Übersetzt bedeutet der Begriff so viel wie „gar nichts“. Nun gut. Feine Linien verdanken wir zu Beginn dem Saxofonisten Wolfgang Puschnig, der ebenso mit einem Soli in diesem Stück zu hören ist wie der Bass-Ukulele-Spieler Raphael Preuschl. Zwischendrin lauschen wir einem ausschweifenden Big-Band-Klang, der von den vereinten Bläsern geprägt ist. Dabei könnten Teile des Arrangements auch von Francy Boland stammen, oder? Röhrend-sonor, zeitweilig aber auch vor Energie schäumend und im flotten Tempo ist ein weiteres Solo von Puschnig zu hören. Nicht vernachlässigt werden im weiteren Verlauf des Stücks die vier Streicherinnen. Mit einem tieftönig, erdfarbenen Bombom-Bombom ist Raphael Preuschl zunächst zu vernehmen, ehe die Bläser in den Hintergrund gedrängt werden und Preuschl dann zartes Zupfspiel im Bass zu Gehör bringt. Zum Schluss stellen wir uns der „Postmodernen Beliebigkeit“ - welch ein Statement. Aber damit nicht genug. Denn da ist noch eine Art Epilog als Teil des Albums vorhanden. „Zwischen den Zeilen“ heißt dieser, bestehend aus einem vielfältigen Stimmengewirr, dem unkkordinierten Stimmen der Instrumente, Gerede kreuz und quer, dabei dem Summen eines Bienenschwarms gleichkommend, und schließlich ein Brummen und Flirren, das durchaus als Motorengeräusch angesehen werden kann. Quo vadis?

© ferdinand dupuis-panther




Line-up

Leonhard Skorupa - Composition, Saxophone, Samples
Gerd Hermann Ortler - Conductor
Joanna Lewis - Violin
Anne Harvey-Nagl - Violin
Lena Fankhauser - Viola
Asja Valcic - Cello
Wolfgang Puschnig - Saxophone, Flute
Daniel Moser - Bass clarinet, Saxophone, Tin Whistle, FX
Daniel Nösig - Trumpet
Martin Grünzweig - Trombone, Bass Trombone
Michael Tiefenbacher - Piano
Andi Tausch - Guitar
Raphael Preuschl - Bass Ukulele
Konstantin Kräutler – Drums

https://www.sketchbookorchestra.com/


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