Sandy Evans & Andrew Robson 4tet - Zenith

S
Self produced
Der Albumtitel hat einen Bezug zu Zenith Beach in Port Stephens, wo die Tenor- und Sopran-Saxofonistin Sandy Evans einst eine mehrtägige Wanderung entlang der Küste unternommen hatte. Diese ist ihr nachhaltig in ihrem Gedächtnis haften geblieben, insbesondere die dramatischen Felsformationen und der Rhythmus der Wellen des Ozeans. Das Album wurde im Macquarie University Studio auf dem Land des Wallumattagal-Klans der Dharug Nation aufgenommen, wo der Alt- und Baritonsaxofonist Andrew Robson unterrichtet.
Aufgemacht wird das Album mit „Morning Star“: Es ist eine langsame Ballade, die den Morgenstern besingt. Dieser ist in der Mythologie das bedeutendste Einzelgestirn nach Mond und Sonne. Durchdringend erhebt sich der Klang eines der beiden Holzbläser des Ensembles. Alt- oder Tenorsaxofon ist die Frage. Von der Lage hören wir das Altsaxofon, das der menschlichen Stimme, so wird gesagt, sehr nahe ist. Im Laufe des Stücks vereinen sich die beiden Saxofonisten zu einer Klang-Helix. Beinahe möchte man aufgrund der Inszenierung von einem Wechselgesang sprechen.
Das nachfolgende Stück „Clarion Call“ ist in flottem Tempo geschrieben. Wieder ist es der Wechselgesang der beiden Saxofonisten, der überaus faszinierend ist. Das Stück scheint übrigens durchaus tanzbar und hat einen rockigen Rhythmus. Von sonoren Klängen bis „Sopran-Überschlägen“ ist alles in diesem Stück verarbeitet worden. Interessant ist auch die „Auseinandersetzung“ der beiden Holzbläser, die sich gegenseitig in ihren Klangeskapaden zu übertrumpfen suchen.
„Watussi Dreaming“ wurde inspiriert durch die Zusammenarbeit von Sandy Evans und dem Bassisten Neville Whitehead. Es handelt sich um einen 12/8-Blues mit dem Fokus auf den beiden Saxofonisten, wie ja auch in den obigen Stücken. Aufgemacht wird das Stück – und das ist eine Seltenheit im Jazz – mit einem Schlagwerksolo von Hamish Stuart. Dann mischt sich der Bassist ins Solo ein und entwickelt dunkle Klanglinien, ehe dann die beiden Saxofonisten ihr Sopransaxofon und Altsaxofon zum Klingen bringen. Bewegt sind die Klanglinien, die wir erleben. Es klingt so, als wolle man auf einem unwegsamen Weg den Gipfel erklimmen, müsse aber noch Rück- und Umwege in Kauf nehmen. Ein wenig klingt das Sopransaxofon-Solo ab und an nach Musik, die man auch in Nordafrika hören kann, oder?
Zu finden ist außerdem auf dem Album eine Hommage an den verstorbenen Musiker Archie Roach, einem Gitarristen, Songschreiber und Sänger der australischen First Nation. Über den Track lesen wir den nachstehenden O-Ton: “It was one of those pieces that I didn’t set out to write. It just came to me through a desire to pay tribute to this great man.” Und weiter: “I was very fortunate to play in a project initiated by Paul Grabowsky for the Australian Art Orchestra called Ruby’s Story. It was about the wonderful Ngarrindjeri / Kukatha / Pitjantjatjara woman Ruby Hunter‘s life, particularly her experience as a member of the Stolen Generation and her overwhelmingly inspiring and beautiful relationship with the great Archie Roach.” (Sandy Evans) Vom Charakter her erscheint das Stück wie ein Lamento oder wie ein Abschiedslied, getragen und auch ein wenig wehmütig. Und es hat auch etwas von Blues und dessen Harmonien. Ab und an erinnerten den Rezensenten die Harmonien an ein Shanty, in dem die Liebste dem Seemann Ade sagt, ehe er auf monatelange Fahrt geht.
Ins Folkloristische geht es mit „Tea Horse Road“. Dabei ist man auch wegen der Flötenklänge geneigt an Irish Folk zu denken, obgleich dazu die klassische Tin Whistle eigentlich fehlt. Zur Flöte erklingt dann eine Rahmentrommel, so der Höreindruck. Oder ist es schlicht ein rhythmisch geschlagener Bass? Übrigens, verfolgt man die melodischen Linien, die Andrew Robson auf der Flöte spielt, kommen auch Erinnerungen an „El condor pasa“ auf. Doch dieser voreilige Höreindruck wird durch das melodische Sopran-Saxofonspiel schnell zum Verschwinden gebracht. Sandy Evans nimmt dabei die Linien des Flötisten auf und erweitert diese. Dumpfes Saiten-Schnarren des Basses begleitet die Sopransaxofonistin.
Wie gesagt auch das Stück „Zenith“, das ja namensgebend fürs Album war, ist Teil der aktuellen Veröffentlichung. Gelegentlich meint man, klassische Anmutungen herauszuhören. Wie in anderen Stücken sind es erneut die beiden Saxofonisten, die ein buntes Klanggemälde vor unseren Augen und Ohren inszenieren, mit und ohne additiven Rassel- und Schellen-Klängen, die dem Drummer zu verdanken sind. Lange Linien zeichnet vor unseren Augen einer der beiden Saxofonisten, derweil ein Schlagwerkschauer über uns niedergeht und wir den brummenden Bass wahrnehmen. Es ist wohl das Altsaxofon, das wie in einer Gouache die Klänge verwischt.
„The Running Tide“ ist ein Stück Bop beeinflusst von Ornette Coleman, dabei Raum gebend für Dialoge der Saxofonisten und für Solos des Bassisten und Drummers., so konnte man lesen. Ja, Bop ist präsent, aber auch Nat und Cannonball Adderley. Überaus flott ist das Tempo angelegt. Es scheint nur ein Vorwärts zu geben, so „verkünden“ es die beiden Saxofonisten. „Feurig“ ist das Schlagwerkspiel, derweil sich die Saxofonisten zum musikalischen Diskurs herausfordern. Es scheint, als wolle der eine den anderen noch um ein paar Millimeter überragen. Zwischendrin scheinen beide Saxofonisten sich in einer Debatte von Ja-Ja und Nein-Nein zu befinden. Gutturales ist zu vernehmen. Schiffssirenen scheinen imitiert zu werden. Nach diesem Diskurs hat der Bassist Raum für sein Solo. Und das ist ein musikalischer Leckerbissen. Beim Zuhören kann man wirklich an Gezeiten-Läufe denken. Anschließend an das Bass-Solo ist dann das Schlagzeug im Spotlight. In der Abfolge der beiden zuletzt genannten Soli ist das bei Jazz-Einspielungen eher selten. Zumeist ist ein Schlagwerksolo eine Art Interlude oder Abschluss eines Stücks. Doch in „The Running Tide“ gehört den Saxofonisten der „Schlussakkord“. Mit „Cry to the Waning Moon“ schließt das Album, das in seinen Klangfärbungen von dem Zusammenspiel der beiden Saxofonisten lebt.
© ferdinand dupuis-panther 2025
BANDCAMP
Musicians
Sandy Evans - tenor & soprano saxophones
Andrew Robson - alto & baritone saxophones; descant recorder
Brett Hirst - double bass
Hamish Stuart - drums & percussion
Tracks
1.Morning Star 03:06
2.Clarion Call 06:29
3.Watussi Dreaming 06:42
4.For Archie 06:47
5.The Big Merino 10:08
6.Tea Horse Road 05:52
7.Zenith 05:53
8.Lucky Jim 05:35
9.The Running Tide 07:12
10.Cry to the Waning Moon 08:00