Kappe/Pabst/Somsen/Bönniger: JazzGlück: Reggae gab's auch noch zu hören

Wie gehabt agierte Ben Bönniger auch an diesem Abend als Gastgeber und saß an seinem Schlagzeug, als er gemeinsam mit dem Trompeter und Flügelhornisten Christian Kappe, dem Pianisten Christian Pabst und dem Bassisten Jasper Somsen auftrat. Bis auf den letzten Platz war das Untergeschoss des Museums für Lackkunst gefüllt, als es wieder einmal „JazzLuck“ hieß. Fürwahr es war JazzGlück, das zu erleben war. Diesmal waren es Kompositionen des in Amsterdam beheimateten Pianisten Christian Pabst und des niederländischen Bassisten Jasper Somsen, die während des Konzerts mit viel Einfühlungsvermögen und mit Sinn für das Improvisieren zu hören waren.

Selbst einen Reggae spielte das 4tet, als ein Titel des französischen Trompeters Eric Truffaz auf dem Programm stand. Der Münsteraner Trompeter Christian Kappe hatte sich dessen Komposition „Et La Vie Continue“ für diesen speziellen Abend gewünscht. Spielwitz und Spielfreude entwickelten sich während des Abends stetig. Blickkontakte und nur ein einziger Fingerzeig von Jasper Somsen reichten aus, um ein gemeinsames, dynamisches und abwechslungsreiches Spiel zu konzipieren. Weltpremiere war das auf alle Fälle, denn gemeinsam waren die vier Musiker noch nie auf der Bühne zu hören.

Beinahe zwei Jahrzehnte hatten Jasper Somsen und Christian Kappe nicht mehr gemeinsam Jazz gemacht, derweil Christian Pabst schon mehrmals Gast der von Ben Bönniger kuratierten Reihe „JazzLuck“ war, wie der wie immer gut aufgelegte Mann am Schlagwerk erzählte.


Bereits das erste Stück des Abends entführte uns an den Sunset Boulevard, auf den Kudamm, die Kö oder auf einer der anderen Prachtmeilen, auf denen es heißt: Sehen und gesehen werden. Es schien, als wollte die Musik die Flaneure einfangen, die bei warmem Sommerwind unterwegs sind. Besonders nachhaltig war der Sound der Trompete, deren Klang den gesamten Spielort einhüllte, derweil Christian Papst auf seinem Tasteninstrument nicht nur die Töne dahinfließen ließ, sondern zugleich auch die Zeit, die freie Zeit und das Unbeschwertsein der Flaneure. Autos mit und ohne geöffnetem Verdeck passierten die Bummelnden, stellte sich der eine oder andere Zuhörer unter Umständen vor. Urbanes Leben schien eingebunden in die Musik, die zu hören war. Ben Bönniger ließ dazu im Hintergrund den Pulsschlag der Großstadt anklingen.

Bisweilen agierte Christian Kappe an der Trompete mit einer schmutzig-spitzen Klangverwirbelung. Während des Basssolos von Jasper Somsen, der das Stück geschrieben hat, konnte man sich den Sonnenuntergang und den Beginn des urbanen Nachtlebens vorstellen. Dabei gab sich Somsen sehr obertönig, und das klang so wie das Stimmengewirr in Cocktailbars zur Happy Hour. An Christian Pabst war es dann, ein wenig die Basslinie unter das obertönige Zupfwerk Somsens zu legen.

Zwischen dem ersten und dem nachfolgenden Stück ließ es sich Ben Bönniger nicht nehmen, die Gäste auf der Bühne vorzustellen und das Publikum zu begrüßen. Dabei enthüllte er, dass er mit Christian Pabst seinen Lieblingspianisten und mit Christian Kappe seinen Lieblingstrompeter präsentieren könne, aber auch der Bassist sei ein hervortragender Musiker, mit dem es ein Vergnügen sei, zusammenzuspielen, fügte Bönniger schnell an. „Corinaldo“ war der Titel der Komposition von Somsen, die wir zuerst an diesem Abend hörten. Bei diesem Titel denkt man wohl weniger an die Prachtboulevards, die dem Berichterstatter zur Musik einfielen, sondern an die Renaissancestadt an den blauen Bergen der Appenninen.


Über „Tales From The City“ sagte der Komponist Christian Pabst kurz und sehr knapp, dass es ein Stück auf seinem ersten Album und ein Jahr nach seiner Übersiedlung nach Amsterdam entstanden sei. Ein wenig durch diesen Hinweis gelenkt, meinte man dann unzählige Radfahrer ebenso zu sehen wie die Grachtenboote. Urbanes Fieber machte sich jedenfalls auch in diesem Stück breit. Nicht zu überhören war auch diesmal die Trompete von Christian Kappe, der, so der Eindruck, ein wenig die Fäden in der Hand hielt. Sprunghaft glitten die Finger von Christian Pabst dazu über die Tasten des Flügels. Dabei ging es dann weniger dramatisch als zu Beginn des Stücks zu. Die Großstadt hatte sich wohl beruhigt, und ihre Lichter fingen zu funkeln an. Sehr energetisch, aber nicht seine Mitspieler fordernd, so war das Spiel mit Fellen und Messing zu charakterisieren, das in den Händen von Ben Bönniger lag. Glockenhell meldete sich Christian Kappe zu Wort, auch mit gelegentlich eingestreuten Trillern. Was sollen sie sein? Das Hupen der Autos, das Klingeln der Radler, das Klicken der Blinker, der Wechsel des Ampellichts, der Sound aus den Kopfhörern der Teenies im Bus?


Wie, so fragten sich wohl viele im Untergeschoss des Museums für Lackkunst, mag wohl ein Eisvogel verjazzt klingen? Jasper Somsen ist das Stück „Halcyon“ zu verdanken, deren Anfang die Anmutung eines Volksliedes besitzt, so der Eindruck beim Zuhören. Gänzlich ein bayerisches Volkslied wäre es, wenn die Melodie noch ein Humpda-Humpda unterlegt bekommen hätte. Doch dem war zum Glück nicht so. Der Bass fing in seinen Passagen nicht nur das rauschende Wasser von Gebirgsbächen ein, sondern zugleich das Eintauchen des Eisvogels in das kalte Nass, um Beute zu machen. Bisweilen klang es aber auch nach einer von Stein zu Stein hüpfenden Wasseramsel, die auf der Suche nach Köcherfliegenlarven ist. Auch die Klavierpassagen unterstützten den Eindruck von schnell fließenden Gewässern, von Wasser, das an Hindernisse wie Felsen stößt. Christian Kappe wiederum fing wohl den Sturzflug ebenso ein wie das Auftauchen und den vom Gefieder geschüttelten Tropfenschwall.

Dass auch eine westafrikanische Trommel, die Ben Bönniger diesmal in sein Schlagwerk aufgenommen hatte, eine klangvolle Funktion hatte, unterstrich der Schlagzeuger beim nachfolgenden Stück namens „Moon & Sound“. Dabei spielte Bönniger nicht mit Rods oder Sticks, sondern mit den Fingern und den Handflächen. Tauchte man in die Harmonien ein, die dem Bass und dem Klavier oblagen, fühlte man sich in herbstliche Stimmungen versetzt. Hier und da hatte man auch die Erwartung, nun würde nach den angespielten Takten „Summertime and the livin' is easy“ folgen. Doch diese Erwartung wurde nicht erfüllt. Stattdessen schwankte man bei den sich entwickelnden „Kopfbildern“ zwischen einem ausgedehnten Strandspaziergang bei stürmischem Wetter und einem Bummel bei Nieselregen, lauschte man Christian Pabsts ausgiebigen Klaviersequenzen.

Zu „North-East, South and West“ wollte Christian Pabst keine erläuternden Worte verlieren, weil das, so Pabst, viel zu privat sein würde. Nun gut, dann sprangen die Musiker also gleich in medias res. Bereits nach ersten Takten musste der Berichterstatter an den Erzählmodus denken, den zahlreiche Jazztrios pflegen, ob triosence, Maria Baptist Trio oder Torque Trio. Die Geschichte stand im Vordergrund, auch wenn wir deren Entstehung nicht erläutert erhielten. Wurden hier ein Wellengang auf der Nordsee und ein Segeltörn mit Halsen und Wenden musikalisch eingefangen? Das Wellenspiel lag in den Händen von Christian Kappe, so der Eindruck. Im Verlauf des Spiels entwickelte sich fast ein Wettstreit zwischen Schlagzeug und Piano um die Klanghoheit. Man könnte sogar von einem Feuerwerk sprechen, das da abgefackelt wurde, oder von einem Wellenrausch.

Nach der Pause eröffnete das 4tet das zweite Set des Abends mit einer Komposition von Horace Silver. Auf den Theatergong verzichtete das Quartett, denn Ben Bönniger eröffnete mit einem schlagstarken Solo den zweiten Konzertteil. Mit Horace Silver reisten die Zuhörer in die Jazzgeschichte und tauchten in die Welt des Hard Bops ein. Eine Anmerkung an dieser Stelle: Silver hat, ähnlich wie Monk, einen besonderen Stil des Klavierspiels entwickelt, unnachahmlich und eben Silver, wie ja auch Monk stets als solcher zu identifizieren war. Ob sich Christian Pabst in seinem Spiel dem näherte, sei besonders geschulten Jazz-Ohren überlassen. Auf alle Fälle war in der Präsentation von „Nica`s Dreams“ ab und an ein Bossa eingewebt, kurz nur, aber wahrnehmbar.

Sehr gelungen war das Duett zwischen Bass und Klavier, vielleicht als zwei Traumgestalter zu begreifen. Wie auch im Original spielte die Trompete von Christian Kappe eine entscheidende Rolle bei der Ausformung der Melodie. Das Saxofon von Junior Cook aus der Besetzung des Horace Silver 5tet vermisste dabei wohl niemand der Anwesenden.

Eine „rhythmische Überraschung“ war dann Eric Truffaz' Komposition, von der Christian Kappe meinte, er hätte sie gerne selbst geschrieben. Ja, man traute seinen Ohren kaum, aber Reggae gab's zu hören, wenn auch nicht „Stand up, get up, get up for your rights“. Wer Truffaz nicht kannte, dachte wohl, die Idee zu einem Reggae-Beat sei Christian Kappe oder gar Ben Bönniger in der Vorbereitung in den Sinn gekommen. Doch weit gefehlt, Trufazz hat tatsächlich eine derartige Rhythmikstruktur konzipiert. „Et La Vie Continue“ entpuppte sich dann als eine Mischung aus karibischem Beat und einer eher getragen-lyrischen Melodie, die ohne eine gedämpfte Trompete wohl nicht denkbar erschien. Man höre sich halt mal das Original an! Die Besetzung beim JazzLuck-Konzert kam allerdings ohne E-Gitarre aus, die auf Truffaz' Album „Saloua“ schwirrt, schwingt und wimmert. Nachdem wir dem „Pfad des Dichters“ gefolgt waren, endete der sehr gelungene Abend mit zwei Standards. Zunächst präsentierten uns die vier Musiker des Abends „Stella By Starlight“ und als Rausschmeißer schließlich „How Deep Is The Ocean“.

Und zum Schluss eine gute Botschaft: Im Frühjahr 2016 geht es mit JazzLuck weiter. Man darf gespannt sein, wen sich Ben Bönniger nach Münster einlädt.

Text und Interview: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Museum für Lackkunst Münster
Windthorststraße 26 • 48143 Münster
t. +49 (0)251 /4 18 51 -22
JazzGlück: Reggae gab's auch noch zu hören
www.museum-fuer-lackkunst.de
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