JazzGlück zwischen Turnaround und Segment – ein Abend im Museum für Lackkunst mit Matthias Nadolny, Ben Bönniger, Ingo Senst und Hans Wanning (31.März 2016)

Erstmals in dieser Besetzung und nur an diesem Abend traten die vier Musiker zusammen auf: Matthias Nadolny (Saxofon), Hans Wanning (Klavier), der gleich mal zwei Eigenkompositionen mitgebracht hatte, Ingo Senst (Kontrabass), der unter anderem beim Jazztrio triosence zu hören ist, und als Gastgeber Ben Bönniger (Schlagzeug).

In der Vorankündigung war Nachstehendes über Matthias Nadolny zu lesen: „Mit seinem wandlungsfähigen, aber dennoch stets identifizierbaren individuellen Ton und seiner melodischen Phantasie ist der Tenorsaxophonist Matthias Nadolny zu einer festen Größe der deutschen Jazzszene geworden. Ende der siebziger Jahre wurde er als Mitglied von Toto Blankes Electric Circus einem breiteren Publikum bekannt. Konzerte und Tourneen mit vielen anderen renommierten Künstlern führten ihn durch ganz Europa. Im Duo mit dem Bassisten Gunnar Plümer spielte Matthias Nadolny 1993/94 die CD „You‘ll never walk alone“ ein, die viel Lob der Kritiker erhielt, und trat in dieser Formation mit großem Erfolg 1996 beim Jazzfest Berlin auf. Neben seiner Konzerttätigkeit nimmt er auch eine Lehrtätigkeit an der Folkwanghochschule in Essen wahr, wo er 2009 zum Professor ernannt wurde.“

Nun würde man ja angesichts dieser Lorbeeren, die Matthias Nadolny zuteilwurden, denken, alles würde sich an diesem Abend um ihn drehen. Nun ja, von der Regiesicht aus stand er schon im Fokus. Doch das Ad-hoc-Ensemble hatte sich auf Vorschlag von Ben Bönniger überlegt, das Quartett während des Abends auch mal in ein Duo und ein Trio aufzulösen. So gab es auch mal einen anderen Schwerpunkt in den Klangfarben, die über weite Strecken durch ein sehr sanft, bisweilen samten klingendes und sehr organisch gespieltes Saxofon, aber auch durch das Tastenmöbel in Schwarz-Weiß bestimmt wurden.

Einen Vorhang, der aufgehen konnte, gab es nicht, doch das Quartett brauchte einen solchen Vorhang auch nicht, auch keinen ausgebreiteten roten Teppich. Ornette Colemans „Turnaround“ war gleich mal der Aufmacher des Abends. Dabei musste man allerdings als Konzertgänger auf den Klang des schmutzig-spitzen Cornets von Don Cherry verzichten, der zur Besetzung von Ornette Coleman gehörte, so auf der Einspielung „Tomorrow is the question“. Und noch eine Änderung gab es für den Abend: Statt des Altsaxofons von Coleman hörten wir das Tenorsaxofon von Matthias Nadolny. Der zählte vor und dann konnten sich die Anwesenden einem balladenhaften Stück mit zartem Blues-Einschlag voll und ganz hingeben. Schloss man die Augen, so tauchte vor dem geistigen Auge einer der legendären Clubs auf, in dem einst derartige Musik zu hören war. Ein gemauertes Kellergewölbe musste es sein, verraucht und flüsternde Gäste mittendrin und vor der Bühne, durchaus auch mal der eine oder andere Zwischenruf wie „Yeah, man“ oder „I got it“. Nein, von allem dem war im Museum für Lackkunst nichts auszumachen. Andächtig lauschten die Konzertbesucher im White Cube mit seiner eher speziellen Akustik dem, was Coleman einst gespielt hatte.

Leicht rauchig wirkte die Stimmlage des Saxofons. Nie klang es exaltiert und stark expressiv, was natürlich mit dem Ansatz von Matthias Nadolny zu tun hatte. In den sehr eingängigen Phrasierungen, die keineswegs das Thema aus dem Blick verloren, wechselten sich der Saxofonist des Abends und der Dortmunder Pianist Hans Wanning nahezu übergangslos ab. Leichte Verfremdungen und eine harte Basslinie waren die Charakteristika seines Spiels auf den schwarzen und weißen Tasten. Dabei war Hans Wanning anzusehen, dass er den Jazz lebt, ja einen sehr körperlichen Zugang zur Musik an den Tag legte, sprich sich in die Tasten fallen ließ, seinem Instrument auch körperlich sehr nahekam, auch schon mal seinen Hocker verließ, um noch energetischer agieren zu können. Jazz ist eben auch physisch! Ingo Senst an seinem Tiefklangmöbel fügte sich sehr harmonisch in das Wechselspiel des Duos Nadolny/Wanning ein. Ben Bönniger übertrieb seinen Einsatz an den Blechen und Fellen nie. Alles war eingepasst, so als hätten die Vier schon jahrelang miteinander auf der Bühne gestanden.

Nach dieser Ouvertüre stellte Ben Bönniger seine Kollegen vor und betonte nachdrücklich, dass die von ihm betreute Reihe nicht umsonst JazzLuck, also JazzGlück heißt, denn es gebe ja immer wieder diese Glücksmomente beim gemeinsamen Spiel. Dabei hob er besonders Mattias Nadolny als Star des Abends hervor. Das bezog sich besonders auf die Art und Weise, wie Matthias Nadolny sein Tenorsaxofon in das musikalische Geschehen einzubringen versteht.

Nachfolgend begegneten wir „Lilly“ – jedenfalls musikalisch, ohne allerdings zu wissen, wer denn Lilly eigentlich ist: Lyrisch war der Beginn. Perlende Tonläufe in Schwarz-Weiß und gezupfte Saiten erfüllten den Raum. Hans Wanning, der Komponist des Stücks, ließ es sich nicht nehmen, in Hochtönigkeit zu schwelgen. Irgendwie klang die Musik sehr urban, und man konnte sich getragen von der Musik gedanklich gut und gerne ins nächtliche New York begeben: Unruhe schien in Gelassenheit auszuklingen, Nachschwärmer schienen vorbeizuhuschen. Und man dachte: Die einschlägigen Clubs sind mit ausgelassenen Gästen gefüllt, die auf Modern Jazz stehen und auch ein Faible für Monk mitbringen. Cabs sind in den Straßen unterwegs, immer auf der Suche nach einem Fahrgast. Nur noch in den urbanen Nischen steppt der Bär. Mir kamen beim Zuhören nicht nur diese Bilder in den Sinn, sondern auch der wohl beste Jazzfilm aller Zeiten, nämlich „Round Midnight“.

Matthias Nadolny nutzte eine Zwischenpause, um festzustellen, dass er jetzt mal was sagen solle, obgleich die Dortmunder ja sehr wortkarg seien. Der Vortrag der Komposition von Hans Wanning sei wirklich in der Besetzung eine Premiere, und er könne sagen, dass er selbst dieses Werk erstmals fehlerfrei gespielt habe. Ein Schmunzeln konnte sich Matthias Nadolny dabei nicht verkneifen.

Nachfolgend stand eine Komposition von Steve Swallow auf dem Programm. Auf dessen Homepage, so der Saxofonist aus Dortmund, könne man sich Kompositionen komplett herunterladen. Swallow sei Amerikaner und habe wohl irgendwie den Kapitalismus nicht ganz verstanden, fügte Matthias Nadolny ironisierenden an. Bei „Nostalgie de la Boue“ genügten wenige Takte, und der Blues umgarnte uns. Eigentlich fehlte dabei nur eine entsprechende Gesangstimme wie die von Nina Simone.

Der Saxofonist hatte bei diesem Stück das Zepter in der Hand und legte vor, ehe der Pianist folgte und sehr abwechslungsreich das Thema fragmentierte. Doch das Bluesige war stets auszumachen. Dabei konnte dann Hans Wanning auch nicht mehr ruhig auf seiner Bank sitzen bleiben. Samten meldete sich das Saxofon nach dem Pianointermezzo zurück. Auch Ben Bönniger und Ingo Senst hatten ihre solistischen Momente bei dieser Nummer. Der Name des Stücks von Swallow hätte ja eher Wehmütigkeit erwarten lassen, man denke an „Nostalgie“ (dt. Wehmut). Doch davon hatte das Stück gar nichts. „Boue“ bedeutet Schlamm, Morast und scheint nun gar nicht recht zu Nostalgie zu passen. Sei es drum, die Interpretation von Swallows Komposition war jedenfalls ein wahrer Ohrenschmaus.

Im Trio ging es dann weiter: Bill Evans und „Waltz for Debby“ waren zu hören. Für mich bedeutete dieser Titel eine Art Déjà vu, hatte ich doch beim Münster Jazzfestival 2015 Michael Schiefel mit einer persiflierenden, parodierenden Version auf der Bühne des Theaters Münster erlebt. Dessen Zugang zu Evans ging mir gar nicht mehr aus dem Kopf, zumal die Melodie doch sehr süßlich und bisweilen auch ein wenig kitschig anmutete. Bilder von üppigen Revuen und Musicals drängten sich auf. Man konnte Paare langsamen Walzer tanzen sehen, wenn man denn seiner Fantasie freien Lauf ließ.  Auch an Kinderlieder konnte man angesichts der Melodie denken, die im wesentlich durch Hans Wanning präsentiert wurde, während Ben Bönniger feinste Besenarbeit leistete.

Als letztes Stück vor der Pause gab's eine „Schöne Bescherung“ - „Another fine mess“ fürs Gehör und Gemüt.

Der zweite Set des Abends bewegte sich zwischen Pat Metheny und Charlie Parker. Dazu gesellte sich eine Eigenkomposition von Hans Wanning, die an Transformation, also Wandel, erinnerte. Auch Monk fehlte an diesem Abend nicht: „Pannonica“ war zu hören.

Nein eine derart riesige Schießbude wie die des Drummers von Pat Metheny hatte Ben Bönniger nicht ins Basement des Museums für Lackkunst mitgebracht. Das wäre dem Raum auch mehr als unzuträglich gewesen. Noch etwas fehlte bei „Song for Bilbao“ natürlich die Leadgitarre von Matheny und die Trompete. Zudem hatte der Pianist der Metheny-Band nicht nur das Piano vor sich, sondern auch noch andere Keyboards. Kein Wunder also, dass im Klangbild zwischen dem im Jazzrock beheimateten Original und dem des Quartetts des JazzLuck-Abends Welten lagen. So war es an dem Saxofonisten und Pianisten der Band „Bens musikalische Freunde“ Metheny zu interpretieren, ohne dabei in einen kopierten Jazzrock zu verfallen. Im Gegenteil, ich hatte den Eindruck, dass Matthias Nadolny eher im Geiste von Paul Desmond agierte und einen sehr entspannten Spielstil pflegte. Bei Hans Wannings Zwischenspiel jedoch kam dank des akzentuierten und teibenden Stils des Dortmunder Pianisten schon ein Hauch von Jazzrock zum Vorschein. Zudem verströmte die Combo ein wenig Latin-Duft, was ja nicht gleich Bossa oder Santana bedeuten muss.

Balladenhaft legte das Duo Wanning/Nadolny nachfolgend Monks „Pannonica“ an - so mein Eindruck. Das für Monk so typische „Pling, Plang, Plong“ blitzte nur hier und da auf. Auch im Original in der Besetzung mit Sonny Rollins, Clark Terry und Ernie Henry sind derartige Klangmuster nur Zwischenpassagen, wenn Monk prägnanter zu Rollins Saxofonphrasierungen aufspielt und hart in die Tasten greift. Beim Solo von Hans Wanning allerdings war dann Monk ganz nahe bei uns, und anwesende Bebop-Freunde kamen voll und ganz auf ihre Kosten. Zum Abschluss hörten wir schließlich ein eher selten gespieltes Stück von Charly „Bird“ Parker nämlich „Segment“. Dabei ging dann nochmals richtig die Post ab und das begeisterte Publikum spendete beinahe frenetischen Applaus.

Man darf sich auf die Fortsetzung der Reihe im Herbst freuen, wenn es dann wieder JazzLuck in Münster gibt.

Fotos und text: © ferdinand dupuis-panther

Informationen
Museum für Lackkunst
http://www.museum-fuer-lackkunst.de/

Musiker
Ben Bönniger
http://www.solodrumming.de/

Ingo Senst
http://www.triosence.com/uber/ingo-senst/
https://www.youtube.com/watch?v=L_CAmPB0qO4

Hans Wanning
https://www.youtube.com/watch?v=765Awhe-gZA
https://www.youtube.com/watch?v=wPPygUYIzFg

Matthias Nadolny
http://www.matthiasnadolny.de/

Musik des Abends
https://www.youtube.com/watch?v=dH3GSrCmzC8
https://www.youtube.com/watch?v=GvFCFDX4L94
https://www.youtube.com/watch?v=OG3AJSpb-fE
https://www.youtube.com/watch?v=gYb3kyEZb5k
https://www.youtube.com/watch?v=ciqI9PXmZWU


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