Matthias Lindermayr – im Gespräch mit dem aus München stammenden Trompeter

Ich traf mich mit Matthias Lindermayr am Rande der Jazzahead 2016 in Bremen und fragte ihn auch nach dem Album „Lang Tang“, aber nicht nur dazu. „Der Trompeter und Bandleader, Jahrgang 1987, aus München, hatte als Kind klassischen Klavierunterricht, spielte als Jugendlicher E-Gitarre in Rockbands und studierte dann an der Münchner Hochschule für Musik und Theater Jazztrompete bei Claus Reichstaller.
Lindermayr gewann 2012 den Biberacher Jazzpreis und 2013 den Kurt Maas Jazz Award, der ihm einen fünfwöchigen Aufenthalt am Berklee College in Boston ermöglichte. Im Sommer 2013 traf er dort in Trompetenprofessor Tiger Okoshi einen wichtigen Mentor. Der Amerikaner japanischer Abstammung ermunterte Matthias Lindermayr, für ein Stipendium vorzuspielen, und so durfte der Münchner im Herbst 2014 noch einmal nach Boston. Die Erfahrungen der renommierten Jazzschule spürt man in seiner Musik, ohne, dass er deshalb amerikanisch spielen würde. Durch seine Zeit in Berklee ist er als Musiker enorm gereift.“ So liest man es auf der Homepage von Matthias Lindermayr.

Muss ich aus der Tatsache, dass du als Kind klassischen Klavierunterricht erhalten hast, schließen, dass du aus einem musikalischen Elternhaus stammst?

ML: Ja, ich stamme aus einem musikalischen Elternhaus. Mein Vater ist Pianist und meine Mutter unterrichtet musikalische Früherziehung. Ich habe Musik schon von klein auf mitbekommen, aber mit dem Spielen eines Instruments erst spät angefangen. Trompete war dann mein Erstes mit Zwölf und dann kam später noch das Klavier dazu, autodidaktisch noch die Gitarre.

Welche Art von Musik hast du als Kind und als Teenager zu hören bekommen? Hast du in der Plattensammlung deiner Eltern stöbern dürfen und, wenn ja, welche Platten haben dich dabei besonders angesprochen?

ML: Ich habe natürlich durch meinen Vater viele klassische Werke mitbekommen. Als Kind gab es natürlich viele Messen in der Kirche und ganz viel Klaviermusik. Ich habe mich dann als Teenager lange Zeit eher für Rockmusik interessiert und bin dann über den Umweg experimenteller Rockmusik irgendwann zu experimentellem Jazz gekommen, z.B. „Bitches Brew“. Das war eine der ersten Jazzplatten, die ich so gehört habe und mein Einstieg in die Jazzgeschichte

Was heißt für dich experimenteller Rock? Soft Machine?

ML: Progressive Sachen wie King Crimson, Mars Volta oder Krautrock. Von diesen Bands ist der Schritt zum 70er Jahre Miles Davis kein weiter mehr.

Vom klassischen Klavierunterricht zur E-Gitarre zum Jazzstudium und zur Trompete ist durchaus ein Schritt. Wie kam der zustande und warum? Das hört sich eigentlich nicht organisch an, oder?

ML: Das lief eigentlich ein bisschen parallel. Ich habe auf der Trompete lange Zeit nur Klassik gespielt. Ich hatte auch nur einen Klassiklehrer und hatte bis zum Musikabitur nur klassische Sonaten gespielt. Auch auf dem Klavier hatte ich nur klassische Stücke gespielt. Die Gitarre war für mich das Rockinstrument. Das erste Mal Jazz gespielt, habe ich in der Big Band meines Gymnasiums. Ab diesem Zeitpunkt habe ich mehr und mehr Jazz gespielt. Ich habe dann relativ schnell gemerkt, dass ich lieber eine gewisse Freiheit habe, gerne improvisieren will und nicht nur nach Noten zu spielen. Ich war immer aufgeregt vor Klassik Konzerten, ob ich die Noten richtig hinbekomme. Vor solchen Konzerten wie heute, bin ich wesentlich entspannter. Ich kann spielen, was ich höre.

Gab es neben „Bitches Brew“ noch andere Berührungen mit Jazz, an die du dich erinnerst?

ML: Die Berührung mit Jazz kam wie gesagt relativ spät; eben Big-Band-Musik und dann Norweger wie Arve Henriksen und Nils Petter Molvaer. Das war die Art von Jazz, mit der ich anfänglich in Berührung kam. Die ersten Musiker die ich auf der Trompete improvisieren gehört habe.

Bei Jazz und Trompete denkt man an Louis Armstrong, an Miles Davis, Chet Baker, Maynard Ferguson und Dizzy Gillespie, um nur einige Giganten des Jazz zu erwähnen. Haben diese Musiker einen besonderen Einfluss auf dich genommen und, wenn ja, in welcher Art und Weise? Oder hast du dir gesagt, dass du das ausblenden musst?

ML: Natürlich lässt sich der Einfluss dieser alten Meister nicht leugnen. Miles Davis hat mich sehr geprägt. Ich habe mit seinen Solos von „Kind of Blue“ Improvisieren gelernt. Auch meine Diplomarbeit habe ich über Miles Davis geschrieben. Der hat mich total fasziniert. Ansonsten natürlich Freddie, Chet, Clifford, Woody,... An denen kommt man natürlich nicht vorbei wenn man Jazztrompete spielen will. Ich habe trotzdem immer versucht, eben nicht Licks von jemand anderem auswendig zu lernen und die dann im Konzert zu spielen. Ich habe von Beginn an versucht, eine eigene Sprache zu entwickeln. Ob das dann auf Anhieb gut funktioniert hat, ist die andere Frage. Ich habe zumindest immer versucht, einen eigenen Weg zu finden.

Was fasziniert denn an Miles Davis so?

ML: Das Faszinierende ist, das er besonderer Künstler war und immer den Fortschritt gesucht hat, immer offen war für Neues und immer sein Spiel weiterentwickeln wollte. Mit „Kind of Blue“ habe ich quasi angefangen, Jazz zu spielen. Er spielt relativ minimalistisch. Das kann man, wenn man noch keine Ahnung von dieser Musik hat, schon relativ leicht heraushören und dazu spielen. Es hat mir einfach den Zugang zum Jazz an sich leicht gemacht, weil es verständlicher ist als Bebop oder komplexerer Jazz. Mit so etwas fängt man an, und dann schaut man, was er in den 60er Jahren gemacht hat. Das ist schon faszinierend! In der Schule spielt man immer Jazzstandards und dann hört man Miles Davis Ende der 1960er Jahre. Die spielen noch das Thema, aber was passiert dann? Es war total faszinierend zu hören, wohin die gehen können und wie die zusammen Wege finden. In den 70ern dann die verrückten Mischungen, die Funk- und Rockeinflüsse. Das Album „Live at the Fillmore“ zum Beispiel hat eine unglaubliche Energie und Power, was ich so in keiner anderen Musik gehört habe. Einfach pure Energie. Das hat mich sehr beeindruckt.

Du hast am berühmten Berklee College of Music studiert, warst also im sogenannten Mutterland des Jazz. In wieweit hast du dich auch mit dem Great American Songbook auseinandergesetzt und welchen Einfluss haben diese Klassiker Jazz auf dich?

ML: Ich weiß nicht, wie viel Einfluss es auf die Art hat, wie ich Musik schreibe, aber ich spiele nach wie vor Standards. Ich gehe auch auf Sessions, wo man Standards spielt. Das ist einfach der Weg, wie man andere Musiker trifft. Das ist Teil der Musik und der Jazzgeschichte, deswegen total wichtig.

In Europa verbindet man aktuell die Trompete im Jazz mit Namen wie Matthias Eick und dem sogenannten skandinavischen Fjord-Sound. Hat das auf dich abgefärbt oder bist du völlig immun gegenüber solchen Trends?

ML: Ich habe ja zuvor gesagt, dass ich Arve Henriksen auf einem meiner ersten Konzerte gehört habe. Das hat natürlich abgefärbt. Ich bin ein großer Fan von Nils Petter Molvaer und Jon Hassell. Bei Matthias Eick hat es eine Weile gedauert. Seine Musik mag ich mittlerweile auch total. Ich kann nicht abstreiten, dass das abgefärbt hat.

Was ist das Besondere an der sogenannten nordischen Klangfarbe?

ML: Ich finde es interessant, andere Klänge von der Trompete zu hören, nicht nur das, was man in der Klassik hat, oder dieser traditionelle Jazzsound. Ich war immer schon Fan von sphärischer Musik, die ich nicht erst mit Arve Henriksen und Matthias Eick entdeckt habe. Ich mag sphärische Klänge und habe gesehen, dass es auch im Jazz Leute gibt, die diese Art von Musik machen.

Lass uns im Geiste nach „Lang Tang“ aufbrechen, sprich über dein aktuelles Album reden und zugleich auch bezogen auf einige Kompositionen von dir auf die Inspirationen dazu. Beginnen wir mal mit „Lang Tang“, einer Region in Nepal. Wie kamen dir die Kompositionsideen und deren Umsetzung in Harmonieschemen und Klangstrukturen?

ML: Es geht eigentlich ein wenig Hand in Hand. Es ist meist so, dass ich erst musikalische Ideen habe und dann versuche, dazu ein Bild zu finden. Ich komponiere fast immer von der Musik aus.

Hast du Titel vor der Komposition im Kopf oder im Nachgang?

ML: Das passiert gleichzeitig. Ein Stück ist bei mir auch nicht in 20 Minuten fertig und auch nicht in einem Tag, sondern das ist ein längerer Prozess, und in diesem Prozess entsteht dann auch der Titel.

Ich habe in meiner Besprechung Folgendes geschrieben: Auch bei „Die neue Ehrlichkeit“ entfernt sich das Quintett kaum aus dem herausgestellten Klangschema, das Grenzenlosigkeit und einen Blick bis zum Horizont beinhaltet. Stimmst du dem zu oder auch nicht?

ML: Ja, doch.

Ist es zutreffend, dass du diesem Klangschema auf dem gesamten Album treu bleibst?

ML: Auf jeden Fall. Im Nachhinein würde ich sagen, wenn ich ein neues Album mache, könnte man ein bisschen mehr aus dem Klangschema ausbrechen. Ich bin total zufrieden mit dem Album, aber das wäre etwas, was ich beim nächsten Mal anders machen würde, also auch andere Farben auf der Trompete zu spielen.

„Etwas Meditatives, zumindest Kontemplatives geht von Lindermayrs Musik aus“, habe ich in meiner Besprechung geschrieben. Ist das fehlgeleitet durch die Vorstellung von Nepal und dem Himalaja?

ML: Nee. Das haben schon mehrere gesagt, aber das war nicht meine Absicht. Wenn es so viele sagen, dann wird es so sein. (Lachen)

Ich spreche in meiner Besprechung auch davon, dass Tiefenentspannung beim Hören von „Lang Tang“ absolut garantiert sei. Kannst du dich darin wiederfinden? Wenn ja bzw. nein, warum bzw. warum nicht?

ML: Tiefenentspannung finde ich fast ein bisschen extrem, aber wenn jemand solche Bilder mit der Musik verbindet, kann ich schwer widersprechen.

Was wären denn aus deiner Sicht Stichworte zu deiner Musik?

ML: Was ich zum Beispiel an „Lang Tang“ gern mag ist, dass der Song eigentlich eine relativ energetische Basis vom Bass und Schlagzeug bekommt, schwer und sehr treibend. Was darüber passiert ist sphärisch und minimalistisch. Diese Kombination ist das, was ich im Kopf habe.

Ich danke dir für das Gespräch.

Interview und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Matthias Lindermayr
http://www.matthiaslindermayr.de

Audio
https://soundcloud.com/matthias-lindermayr

CD-Besprechung in Jazz'halo
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/m/matthias-lindermayr-lang-tang/


In case you LIKE us, please click here:




Foto © Leentje Arnouts
"WAGON JAZZ"
cycle d’interviews réalisées
par Georges Tonla Briquet




our partners:

Clemens Communications


 


Silvère Mansis
(10.9.1944 - 22.4.2018)
foto © Dirck Brysse


Rik Bevernage
(19.4.1954 - 6.3.2018)
foto © Stefe Jiroflée


Philippe Schoonbrood
(24.5.1957-30.5.2020)
foto © Dominique Houcmant


Claude Loxhay
(18/02/1947 – 02/11/2023)
foto © Marie Gilon


Special thanks to our photographers:

Petra Beckers
Ron Beenen
Annie Boedt
Klaas Boelen
Henning Bolte

Serge Braem
Cedric Craps
Christian Deblanc
Philippe De Cleen
Paul De Cloedt
Cindy De Kuyper

Koen Deleu
Ferdinand Dupuis-Panther
Anne Fishburn
Federico Garcia
Robert Hansenne
Serge Heimlich
Dominique Houcmant
Stefe Jiroflée
Herman Klaassen
Philippe Klein

Jos L. Knaepen
Tom Leentjes
Hugo Lefèvre

Jacky Lepage
Olivier Lestoquoit
Eric Malfait
Simas Martinonis
Nina Contini Melis
Anne Panther
Jean-Jacques Pussiau
Arnold Reyngoudt
Jean Schoubs
Willy Schuyten

Frank Tafuri
Jean-Pierre Tillaert
Tom Vanbesien
Jef Vandebroek
Geert Vandepoele
Guy Van de Poel
Cees van de Ven
Donata van de Ven
Harry van Kesteren
Geert Vanoverschelde
Roger Vantilt
Patrick Van Vlerken
Marie-Anne Ver Eecke
Karine Vergauwen
Frank Verlinden

Jan Vernieuwe
Anders Vranken
Didier Wagner


and to our writers:

Mischa Andriessen
Robin Arends
Marleen Arnouts
Werner Barth
José Bedeur
Henning Bolte
Erik Carrette
Danny De Bock
Denis Desassis
Pierre Dulieu
Ferdinand Dupuis-Panther
Federico Garcia
Paul Godderis
Stephen Godsall
Jean-Pierre Goffin
Claudy Jalet
Bernard Lefèvre
Mathilde Löffler
Claude Loxhay
Ieva Pakalniškytė
Anne Panther
Etienne Payen
Jacques Prouvost
Yves « JB » Tassin
Herman te Loo
Eric Therer
Georges Tonla Briquet
Henri Vandenberghe
Iwein Van Malderen
Jan Van Stichel
Olivier Verhelst