Daniel Erdmann: Im Gespräch mit Saxofonist und Gründer der Jazzband "Das Kapital"


In seiner Karriere hat der Saxofonist Daniel Erdmann, teilweise in den USA aufgewachsen, mit verschiedenen Formationen gespielt, auch mit dem Trio „Das Kapital“. An seiner Seite standen Edward Perraud am Schlagzeug und Hasse Poulsen an der Gitarre. Nein, nicht eine Vertonung des Standardwerks von Karl Marx stand an, sondern Kompositionen von Hans Eisler, die die drei Musiker zu Gehör brachten. Auch mit dem Pianisten Carsten Daer war Erdmann, der in der Champagne lebt, aber immer noch einen Koffer in Berlin hat, schon zu hören. Bei Jazz Brügge 2014 formte er mit dem Cellisten Vincent Courtois und dem Tenorsaxofonisten Robin Fincker ein Trio namens „The Mediums“. Bei der Vorankündigung des Konzerts war die Rede davon, dass der Jazz des Trios zwischen Kammermusik und Impro-Jazz changiere. Macht Jazz nicht gerade aus, dass Raum für Improvisationen gegeben ist?


THE MEDIUMS, Jazz!Brugge 2014 - Foto: Ferdinand Dupuis-Panther

Wer die Musik aufmerksam verfolgte, bekam den Eindruck, als würden sich die beiden Saxofone gegen das Cello verbünden, als gäbe es nicht allein Zwiegespräch, sondern auch Zwist. War es Zufall, dass Courtois als „Mittler“ zwischen beiden Saxofonisten auf der Bühne unter dem Dach des St. Janshospitaal Platz nahm? Bisweilen schien das Spiel des Trios auch clowneske Züge anzunehmen. Die beiden Saxofonisten – die sich beim Spiel verrenkten, als würden sie John Cleese nacheifern wollen – wechselten häufige ihre Standorte auf der Bühne, waren nebeneinanderstehend als eingeschworenes Duo zu sehen, das dank ihrer klangstarken Blasinstrumente den Dachsaal des altehrwürdigen St. Janshospitaal fast zum Beben brachten. Leisere Töne stimmte hingegen Courtois an, sodass sich ein wechselvolles Klangbild ergab, das die Zuschauer überaus begeisterte. Schloss man beim Konzert die Augen, konnte man sich auch Bilder einer Großstadt vorstellen. Oder stand man im Nebel am Kai des Hamburger Hafens und hörte das aufgeregte Getöse der Schiffssirenen? Auch zu einem Schwarz-Weiß-Film aus den Hochhausschluchten New Yorks mit unablässigem Verkehr zur Rushhour passt die Musik des Trios m. E. bestens. Beim Hören der Musik stellten sich bei mir zudem Bilder vom Gewirr der unzähligen Abflugschalter und langer Laufgänge großer Flughäfen ein, in denen Fluggäste, stets in der Angst den Flieger verpassen, nahezu ziellos hin- und herirren.

Im Zusammenhang mit dem Auftritt bei Jazz Brügge hatte ich die Gelegenheit, mit Daniel Erdmann das nachstehende Interview zu führen.

Was war eigentlich der entscheidende Moment zu sagen, ich werde Jazzmusiker und nichts anderes?

Heute kann ich sagen, ich mache hauptsächlich Jazzmusik, interessiere mich aber auch für andere Genres. Ich habe angefangen, mit zehn Jahren Saxofon zu spielen. Warum diese Musik? Das hat sich entwickelt. Es gab eigentlich wirklich nicht den Moment. Man fängt an zu spielen; man fängt an zu hören; man geht zu den Konzerten. Was mich als Jugendlicher und Heranwachsender bei Jazzkonzerten so begeistert hat, dass man jedem Musiker zuhören konnte. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Was die Besonderheit und das Plus beim Jazz ist, ist der Tatbestand, dass man das spielen kann, was man fühlt und was man will. Man hat halt nicht die strenge Bindung an die Stücke. Hauptbestandteil des Jazz ist immer die Improvisation. Ich spiele auch geschriebene Musik, auch ein bisschen Neue Musik, die zwar weniger Freiheiten geben, aber dennoch auch improvisiert sind. Für mich ist heute in der zeitgemäßen Jazzmusik alles möglich.

Wie würden Sie denn das beschreiben, was Sie mit dem Trio gemeinsam mit Courtois und Fincker spielen?

Für mich ist in dieser Musik alles möglich. Es gibt immer wieder Punkte, wo ganz einfache und klare Melodien vorhanden sind. Es gibt in der Musik außerdem Fenster, die mal weit und mal nur einen Spalt aufgemacht werden. Es gibt darüber hinaus stets Raum zum Improvisieren. Alle Stücke haben eine spezifische Charakteristik und haben schließlich auch eine Aussage. Wie das stilistisch einzuordnen ist? Da habe ich keine Ahnung.


Wenn Sie diese Musik machen und komponieren, haben Sie dann Bilder im Kopf?

Ich kann mir vorstellen zu einem Bild, zu einer Idee, zu einer Gegebenheit, zu einem Text, zu einer Situation, in der man war, oder zu einem Buch eine Komposition zu schreiben. Man kann eigentlich alles, was einen nährt, in Musik umsetzen. Im Bezug zur Jazzmusik, die heutzutage ja eigentlich relativ abstrakt ist, muss es für mich als Musiker etwas geben, das Sinn macht. Musik kann dann eine Blume ebenso beschreiben wie einen Kriegsschauplatz, jedoch nur, wenn man sich nicht so in die Klangklischees hinein begibt, in dem das Innere nach außen gekehrt wird.

Ist der Eindruck richtig, dass in Ihrer Musik Dialog, Streit, Zwiesprache und Schlichtung eine vertonte Form finden? Und zudem: Ist das Agieren auf der Bühne Teil der Musik oder Zufall?

Hm, hm ... - Beides. Es gibt zufällige Sachen, die geschehen. Dann gibt es Dinge, die halt so sind. Im letzten Stück des Programms gab es zwei Saxofonpassagen, bei der wir wie Clowns agierten. Ob die beiden sich streiten oder Späße machen, ganz ernst sind oder harmonisch miteinander umgehen, das ist bei jedem Spiel anders.

Gab es für Sie Vorbilder für Ihr Spiel?

Ja, man macht halt seinen Weg durch die Jazzgeschichte. Man versucht, vieles zu hören. Ich zumindest habe angefangen mit einfachen melodiösen Sachen, so von Stan Getz; klar Dexter Gordon spielte eine Rolle. Und dann kam ich zu Sonny Rollins und schließlich bin ich bei John Coltrane hängen geblieben. Was soll man machen, das ist heute halt so. Es gibt ja auch weltweit ganz tolle Musiker wie Joe Lovano. Ich habe das große Glück mit Heinz Sauer zu spielen. Und dann beeinflussen mich eben auch die Musiker, mit denen ich spiele.

Hat Jazz Brügge einen besonderen Stellenwert für Sie? Ist das ein Gig, wie jeder andere?

Was ich sehe, ist ein sehr persönlicher Einsatz der Festivalmacher. Es gibt hier keine Maschinerie, die läuft. Man fühlt sich als Musiker hier sehr gut aufgehoben und will auch gerne etwas zurückgeben.

Ergrautes Publikum, wenige junge Zuhörer, aber junge Musiker auf der Bühne – ist das ein Problem?

Ich sehe das. Das ist keine neue Erkenntnis, aber bisher hat sich niemand so richtig darum gekümmert. Ich gehe in Schule und arbeite mit Schülern, um deren Sinn für Jazz zu wecken, vor allem in Frankreich, weil ich dort überwiegend lebe. Es gibt derartige Schritte aber auch in Deutschland. Ich gehe zum Beispiel in eine Klasse, und alle Kinder müssen einmal John Coltrane zusammen sagen. Ja, man muss den Namen einfach mal ausgesprochen haben, um etwas damit verbinden zu können. Man kann wunderbare Workshops machen, auch ohne Instrumente. Es reichen auch Worte aus. Zum Schluss: Ich habe Hoffnung, dass eine Generation nachwächst, die Jazz hören wird.

Interview: Ferdinand Dupuis-Panther

Informationen
http://www.daniel-erdmann.com/Daniel_Erdmann.html

 

Hörprobe „Das Kapital“


„Vorbilder“
http://sonnyrollins.com/
http://www.dextergordon.com/


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