Vorhang auf für das 30. Internationale Jazzfestival St. Ingbert April 2016 –Jazz Ensemble Baden-Württemberg und China Moses „Breaking Point“

Vier Tage lang wurde ein sehr buntes Programm rund um Jazz angeboten. Dabei wurde Jazz sehr kreativ interpretiert. Swing im Geiste von Django Reinhardt gab es ebenso zu hören wie eine Mischung aus Jazzrock, Motown, Soul und Blues. Dieses facettenreiche Programm war gewiss nichts für Jazz-Hardliner, zu deutlich waren die Ausflüge in den Pop und Rock, der bei vielen Jazzveranstaltungen festzustellen ist. Die Begründung für eine derartige Ausfransung der Begriffs Jazz liefern die Veranstalter stets mit dem Hinweis auf die Intention, neue Besuchergruppen anzusprechen, ob in Gronau, St. Ingbert, Worms, Bingen oder anderswo.

Genuine Jazzfestivals sind rar gesät, Jazzfestivals gar, die sich nur der deutschen oder europäischen Jazzszene widmen, sind noch seltener. Meist erleben Besucher, wie auch in St. Ingbert, ein sogenanntes Crossover, einen Begriff den Nils Wülker jüngst in einem Interview auch benutzte, um Jazz zu kategorisieren. „Blues und Swing“ so bezeichnete Wynton Marsalis in einem Interview das, was Jazz ausmache. Nimmt man dies als Grundlage, so bot St. Ingbert all das ganz gewiss, angefangen beim JEBW – nicht gerade ein sexy Bandname – über China Moses, Jacky Terrasson bis hin zur „Legende“ Bill Cobham, dem man in St. Ingbert – aus meiner Sicht völlig überhöht – den Tag der Stars widmete. Was macht einen Star denn aus? Gibt es nicht längst ein Heer sehr guter Jazzdrummer? Schließlich kann Bill Cobham sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, die er sich ohne Frage beim Mahavishnu Orchestra erworben hat. Aber, mit Verlaub, das ist unterdessen eine historische Fußnote!

Bei der aktuellen Berichterstattung beschränke ich mich auf den teilweise fulminanten Eröffnungsabend, der unter anderem Jim Morrison und die Doors ohne Worte aufleben ließ, aber auch dem Prinzip „Shake your bones and move your ass!“ folgte, als China Moses mit ihren Musikern die Bühne in Beschlag nahm. Dabei wartete man bisweilen darauf, dass sie auch von der Bühne springe und ein Bad in der Menge nehme. Das aber blieb aus, auch wenn China Moses durchaus die Klaviatur des Theatralischen zu spielen verstand.

„Lichtgestalten“ am Werke

Zu derartigen Veranstaltungen wie dem Internationalen Jazzfestival St. Ingbert – eigentlich ein sehr hochtrabender Name, finde ich, sieht man sich die Gigs an – gehörten aber auch „Lichtgestalten“. Das sind diejenigen, die Musiker in ein blaues, rotes oder lila Lichtbad tauchen, ohne dass eigentlich eine Korrespondenz zwischen dem musikalischen Vortrag und der Lichtregie ersichtlich ist. Dafür mangelte es in St. Ingbert an dezenten Spotlights auf den Musikern. Wenn man farbige Lichtschlieren als Hintergrund eingesetzt hätte, hätte man das akzeptieren können, aber das Ausgießen von Farbsauce auf den Bühnenraum war kaum zu ertragen und lenkte auch substantiell vom musikalischen Genuss ab. Zu erkennen war zudem nicht, dass die Lichtklaviatur einen spezifischen Bezug zum Jazz besaß. Ich möchte wetten, dass gleiche Konzepte auch bei Auftritten von Peter Maffay oder anderen Popmusikern gefahren werden.

Kehren wir doch zu den Zeiten des Bebops zurück, als die Bühne nicht im Halbdunkel lag. Schließlich wollten afroamerikanische Musiker sich ins rechte Licht setzen und sagen: „Seht her, wir sind es und wir spielen ernsthafte Musik.“ Dass in der Bebop-Ära auch ein klassisches Anzugoutfit dazu gehörte, erklärt sich aus dem Umstand, dass afroamerikanische Musiker noch immer um die Anerkennung der weißen Mehrheit in den USA kämpfen mussten. Ihr Outfit signalisierte, dass sie sich Anzug und weißes Hemd leisten konnten, wie die Weißen auch. Zu diesen Zeiten müssen wir nicht mehr zurückkehren, warum auch, aber ein eher dezentes Lichtkonzept bei den musikalischen Auftritten, wäre geboten, zumal es um die Musik und nicht um die sonstige Verpackung geht.

Jim Morrison war im Geiste dabei

Eigentlich sollte während des Konzerts ein Mikrofonständer am Bühnenrand angestrahlt werden, gleichsam als Verneigung für den verstorbenen Kopf der Doors. Doch dazu war die Lichtregie nicht imstande, sodass dieses „theatralische“ Element des Vortrags verpuffte, auch wenn am Bühnenrand ein Mikrofonständer zu sehen war. Der Saxofonist Peter Lehel und der Trompeter Thomas Siffling waren gut aufgelegt und geizten bei Zwischenansagen nicht mit kleinen Geschichten. Wer von den Anwesenden kannte denn die Doors? Ein Teil der Bandmitglieder war noch zu jung, als Jim Morrison verstarb. Die Doors hatten ihre besten Tage zwischen 1965 und 1971, als sie auch regelmäßig im Radio zu hören waren.

Doch nicht Beatles-Songs oder das Werk von Janis Joplin, sondern das überaus poetische Werk der Doors – Jim Morrison verstand sich, so Peter Lehel, zu allererst als Poet und Rezitator – hatte sich das Oktett aus Baden-Württemberg vorgenommen. Nicolai Thärichen, ein Arrangeur und Jazzmusiker aus Berlin, sorgte im Auftrag des Oktetts für die Arrangements, bei denen ganz bewusst auf Vokales verzichtet wurde, auch wenn die Band das zunächst überlegt hatte. So gab es „The Doors without words mit allen bekannten Songs wie „Riders on the storm“ und „The End“ zu hören.

Am Ende gab es „The End“

Vor beinahe ausverkauftem Haus – und das an einem gewöhnlichen Werktag mit nachfolgendem Arbeitstag – konnte das Jazz Ensemble Baden-Württemberg nach zwei viel zu langen Reden des örtlichen Oberbürgermeisters und des französischen Generalkonsuls – typische Rituale kommunaler Veranstaltungen – konnten wir uns dann musikalisch endlich auf „Waiting for the sun“ einlassen.

Kurz vorgezählt und dann ging die Warterei auf die Sonne auch schon los. Dabei hatte man den Eindruck, dass man Walgesängen lausche. Vertrautes drang ans Ohr derer, die mit The Doors ihre Teenager-Tage verbrachten. Zwischenzeitliches Donnergetöse – die Bläser im Tutti - weckte ebenso auf wie der wimmernde Gitarrensound, den Jo Ambros verantwortete. Es rockte ganz heftig, insbesondere als die Melodiegitarre einmal so richtig in Wallungen gebracht worden war. Dazu gab es die dezente Begleitung von Rhodes und Hammond A100. Referenzen waren im Song vorhanden, wenn auch immer wieder durch gekonnte Phrasierungen gebrochen. Berauschend war hier und da der Klangteppich, den Baritonsaxofon und Posaune vor uns ausbreiteten.

Der Klang von Rhodes und Hammond war wie aus dem Off zu vernehmen, als „Break on through the other side“ den Anfang nahm. Sphärisches erfasste den Saal. Metallisch klar erschien zeitweilig das Rhodes, während sich die Hammond sanftmütig gab. Jenseits von Big-Band-Rausch zeigte sich der Bläsersatz, dabei das Thema anspielend. Als Uli Röser seine Posaune erschallen ließ, klang es nach „steter Tropfen höhlt den Stein“ – auch so gelang der Durchbruch, den die Doors einst beschworen. Während des weiteren Vortrags konnte man sich aber auch in andere Bildwelten davontragen lassen und die Doors vergessen. Das spricht für das Jazz Ensemble! Man konnte drängende Massen vor sich sehen, einen Versuch, sich aus ihr zu lösen und davonzueilen: „Durchbruch auf die andere Seite“.

Der Sturmreiter

Einer der Klassiker der Doors ist „Riders on the Storm“. Wer genau hinhörte konnte verschiedene Taktformen ausmachen. Peter Lehel forderte geradezu auf, diesen die ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen. Denn wer die Taktformen nach dem Konzert Thomas Siffling ins Ohr flüstere, der bekäme eine CD geschenkt. Ob es irgendjemand geschafft hatte, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Zumindest war dieser Hinweis für diejenigen von Belang, die auch die Finesse und nicht allein den Gesamteindruck im Blick hatten.

Hört man da nicht den Hufschlag des Pferdes? Hatten denn die Doors überhaupt einen Reiter zu Pferd im Sinn? „Riders on the storm. Riders on the storm. Into this house we're born, into this world we're thrown, like a dog without a bone, an actor out on loan. There's a killer on the road, his brain is squirming like a toad.“ Diese Zeilen deuten ja auf einen Mörder hin, der auf den Straßen unterwegs ist.

Doch lassen wir uns halt auf das Bild des Reiters ein, im Geist auch ein wenig Erlkönig. Sehr getragen kam das Ensemble daher. Dabei kam dem Bass und Rhodes, später auch dem Baritonsaxofon eine sehr tragende Rolle zu. Letztere machte uns zeitweilig auch denken, wir folgten einem Reiter durch ein heftiges Gewitter. Doch versenkte man sich in das perlende Klangmuster von Jo Bartmes am Rhodes, dann war ein Sturm sehr weit weg. Eher musste man im Verlauf des Vortrags an einen Wolkenreiter denken, insbesondere beim Solo des Tenorsaxofons. Überaus rotzig-rockig kam nachfolgend der Song „The Spy“ daher: „I'm a spy in the house of love / I know the dream, that you're dreamin' of I know the word that you long to hear I know your deepest, secret fear…” Diese Zeilen mussten wir uns mitdenken, wenn wir denn noch die Doors im Ohr hatten. Doch wesentlicher war die sehr balladenhafte Anlage des Stücks durch das Oktett auf der Bühne. Herausragend war das Flügelhornsolo von Thomas Siffling, der sich nicht ins Fahrwasser des Fjordsounds begab. Dazu gesellte sich der mächtige Klang der Hammond A 100 unter den Händen von Jo Bartmes. Dabei weckte dessen Spiel auch ganz entfernt die Erinnerung an Jimmy Smith.

Schließlich entzündete das Oktett noch ein Licht, als „Light my fire“ auf dem Programm stand. Mit „The End“ war das eigentliche Ende des Konzerts erreicht, doch der anhaltende Beifall führte dazu, dass als Zugabe „When the music is over“ präsentiert wurde.

 

Black Magic Woman?

Nach der Umbaupause kam dann nicht die Lady in Red auf die Bühne, sondern a Black Magic Women. Nein, China Moses‘ Songs hatten nun ganz und gar nichts mit Latin Jazz im Geiste von Carlos Santana zu tun. Soul, Blues, Funk und Gospel – fein gewürzt und dann serviert – trug die überaus agile und gut aufgelegte, in Paris beheimatete Vokalistin vor. Dass dem einen oder anderen Aretha Franklin, Nina Simone oder Dinah Washington in den Sinn kamen, war gewiss kein Zufall. Gleich bei den ersten Takten und Tönen wussten alle, dass wird eine heiße Nacht zu erwarten hatten. Soul, Soul und nochmals Soul wurde mit schönen Grooves und Beats gemischt. Stimmgewalt zeigte China Moses, teilweise mit leicht rauchiger und tiefer Stimme. China Moses war und blieb stets präsent und im Fokus der Zuhörer, auch wenn die übrigen Bandmitglieder sich auch zeigten, vor allem Luigi Grasso, der eine dunkle Sonnenbrille trug und ein wenig auf Bluesbrothers eingestimmt zu sein schien. Dass es nach den ersten beiden Songs nicht bereits Standing Ovation gab, war Zufall. Jedenfalls waren die Anwesenden, wie man ihren Jubeläußerungen entnehmen konnte, vollständig aus dem Häuschen.

China Moses betonte, dass sie nur Songs singe, die die meisten noch nicht kennen. Dabei war auch Balladenhaftes zu hören, das gestenreich und mit koketter Stimmführung vorgetragen wurde. Ob es denn Jazz war, was es zu hören gab, schien das Publikum nicht wirklich zu interessieren. Scat Vocal konnten wir nicht vernehmen, aber schöne Phrasierungen von Luigi Grasso auf dem Saxofon. Vielleicht wäre der Begriff Pop mit Jazzelementen eine angemessene Charakterisierung der Musik von China Moses.

Disconnected

Dass wir trotz Social Media immer weniger miteinander in Verbindung stehen, auch wenn es auf den ersten Blick anders ausschaut, verarbeitete die Sängerin in „Disconnected“. Gab es im Verlauf des Konzerts nicht auch Anleihen an „Dancing on The Ritz“, denen wir uns hingeben konnten? Dazu fegte China Moses wie ein Wirbelwind über die Bühne.

Eher sentimental ging es zu, als die Sängerin folgende Zeilen anstimmte: „Whatever you feel / Whatever you see / Whatever is true … Es ging in dem Song um das Streiten, ums gegenseitige Verletzen, um die Argumente, die Paare im heftigen Disput austragen. Während andere Songs, die an diesem Abend zu hören waren, eine soulig-bluesige Note hatten, gab es eben auch das Lyrisch-Narrative als gelungene Abwechslung in den sonstigen Hörfarben. „Whatever is done / Whatever is left / Whatever it was / Whatever it is …” Das blieb nachhaltig im Gedächtnis, eben auch wegen des elegischen Vortrags.

China Moses erzählte auch von ihren Träumen, ihrem Leben als  Musikerin, der Ichbezogenheit, dem letzten Drink an der Hotelbar und ihrer Begegnung mit einer sehr schönen Frau, vergleichbar mit Iman, einem aus Somalia stammenden Fotomodell. Man habe gemeinsam Champagner getrunken und geplaudert, sich aber auch immer ein wenig taxiert. Dabei habe sie sich selbst so dumm gefühlt, weil sie ständig ihr Gegenüber beurteilt habe.

More over

Ihr schauspielerisches Talent bewies China Moses dann, als sie in einem Song die leicht beschwipste Lady mimte, die am Ende fragte: „Can you fix me another one.“ Hatten wir im ersten Teil des Abends eine Reise in die Geschichte von Sex, Drugs and Rock n‘ Roll unternommen, so bot die freie und variationsreiche Interpretation des Janis Joplin Songs „Move over“ die nächste Gelegenheit dazu. Da rockte das Haus. Der Tag neigte sich dem Ende zu mit Jazz, Jazzrock, Soul, Blues und Funk – alles war Teil eines bunten musikalischen Menüs.

Text und Fotos © ferdinand dupuis-panther

Informationen

http://www.experience-jazz.de und https://www.facebook.com/jazzfestivalsanktingbert/

Musiker
JEBW
http://www.jazzensemble-badenwuerttemberg.de

CD-Besprechung
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/j/jazz-ensemble-baden-wu-rttembergthe-doors-without-words/

China Moses
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