Jüzz mit Klare/Bektas/Ak im Bunker Ulmenwall (Bielefeld), 21. Mai 2016

Das Trio Klare/Bektas/Ak lernte sich bei „Halbmond und Stern“ kennen, 2006 beschloss man, mit Fethi Ak regelmäßig als Trio aufzutreten. Das Repertoire bestand zunächst aus türkischen Tänzen, später rückte die zeitgemäße Verschmelzung verschiedener kultureller Hintergründe in den Fokus. Beim Konzert ging Jan Klare auf die Frage ein, was das Trio eigentlich spiele: Jazz, orientalische Musik und/oder Improvisation? Launisch fügte Jan Klare an, dass der Besitzer eines persischen Gemüseladens in Münster, wo man regelmäßig aufspiele, den Begriff Jüzz für diese Form der Musik geprägt habe. Darunter möge sich dann jeder selbst vorstellen, um welche Art von Musik es sich handele.

Kurz und knapp: die Musiker

Ahmet Bektas spielte zunächst Darbuka, bevor er zur Ud kam und hier sein Spiel zu einer hochgradigen Perfektion führte. Seit 1981 lebt er in Deutschland. Er verbindet orientalische Maqam-Musik mit Jazz und arbeitete u.a. mit Rafael Cortes, Christoph Haberer und Karibuni (Deutscher Schallplattenpreis).

Fethi Ak, in Deutschland geboren, begann schon als Kind auf türkischen Hochzeiten zu spielen. Heute gehört er zu den virtuosesten Darbukaspielern in Deutschland. Darüber hinaus ist er an der Rahmentrommel und an der Kistentrommel (Cajón) zu hören. Neben der Kistentrommel, auf der er sitzt, spielt er auch auf einer Standkistentrommel. Außerdem setzt er einige Perkussionsinstrumente wie Rassel und Klangstäbe ein, wenn er gemeinsam mit Jan Klare und Ahmet Bektas zu hören ist.

Wer in NRW in der Jazzszene unterwegs ist, der kennt den Saxofonisten, Klarinettisten und Flötisten Jan Klare, der nicht nur regelmäßig mit der Großformation The Dorf im Dortmunder domicil zu hören ist, sondern auch mit anderen Projekten unterwegs ist und war, so auch mit Xu Fengxia beim Projekt „Searching for the melody“.

Es war ein lauer Frühlingsabend, und zudem wurde das Pokalendspiel zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund übertragen, sodass die Musiker im Vorgespräch ein wenig skeptisch waren, ob der Bunker Ulmenwall gut besucht sein würde. Die Erwartungen wurden übertroffen. Die Hütte war voll; das Publikum war von der Musik und vor allem von den Soli sehr angetan, was sich im entsprechenden Zwischenbeifall und Schlussbeifall niederschlug. Keine Frage, am Ende gab es noch die erwartete Zugabe.

Jan Klare bedankte sich am Schluss beim sehr zahlreich erschienenen Publikum und auch beim Bunker Ulmenwall für die Einladung. Ja, Spielstätten sind rar gesät und um jede muss gerungen werden, da Kulturförderung bei städtischen Entscheidungsträgern nicht hoch angesiedelt ist – und Jazz nun mal schon gar nicht. Da macht die Stadt Bielefeld keine Ausnahme, die die Förderung des Bunkers Ulmenwall in den letzten Jahren immer weiter zurückgefahren hat.

Die Instrumentierung des Trios suggerierte auf den ersten Blick, man werde einen Abend mit Ethnojazz und Oriental Jazz erleben, getreu dem Motto: Orient trifft Okzident. Auch der Begriff Fusion hätte vielleicht bei der Art der Musik, die zu Gehör gebracht wurde, seine Berechtigung gehabt. Doch der von Jan Klare eingebrachte Begriff Jüzz hat etwas. Muss man denn Musik immer in Kategorien ablegen, um sie wertschätzen und genießen zu können? Dem Publikum schien die Einordnung schlicht nicht wichtig zu sein, waren es doch überaus warme Klangfarben, aus denen die Musik komponiert wurde. Es war eine Musik voller Emotionen und nie hörte man Verkopftes. Themen waren einfach zu entdecken; aufmerksames Zuhören aber durchaus erforderlich. Zu hören waren Kompositionen von dem in Münster lebenden Multiinstrumentalisten und Bandleader Jan Klare und von dem in Essen lebenden Ud-Spieler Ahmet Bektas.

Die Atmosphäre war für alle Beteiligten, Musiker wie auch Zuhörer, sehr angenehm. Fethi Ak fasste dies zu Beginn des Konzerts mit den Worten zusammen: „Das ist ja wie in einem Wohnzimmer“. Ja, der Bunker war sehr intim: Die Zuhörer gruppierten sich um die Musiker, die in der Mitte des Raums im Kreis saßen, gut für eine dichte Interaktion auch mittels Gesten und Mimik.

Das erste Stück wurde von Ahmet Bektas eröffnet, der eine redundante Tonfolge auf seinem doppelchörigen Zupfinstrument mit einem Plektron spielte. In diese wiederkehrende Klangfolge mischte sich Fethi Ak mit kurzen Schlägen auf den Korpus seiner Daburka ein, die sich während des Konzerts ab und an an den dumpfen Klang der Udu anlehnte. So konnte man ein dumpfes Plonk wie auch ein eher metallenes Plinkplonk vernehmen. Zudem schlug Fethi Ak auch im Wechsel auf seine Rahmentrommel ein, die beinahe dem Klang einer kleinen Bassdrum nahekam. Über all dem ließ Jan Klare seine schwebenden Klangwolken dahinziehen, losgelöst, beinahe schwerelos. Schloss man die Augen, dann meinte man, den schwirrenden Flügelschlag einer Gruppe von Zugvögeln wahrzunehmen. Doch im Verlauf des Vortrags änderten sich Tempo und Rhythmik und man wähnte sich inmitten wilder Reiterspiele. Insbesondere das Fingerspiel auf der Rahmen- und der Kistentrommel schien dem Hufschlag von Pferden zu gleichen. Auch das Bild tanzender Derwische überkam den Berichterstatter beim Zuhören. Forciert wurde diese Vorstellung durch das bassig daherkommende, gleichförmige Zupfspiel von Ahmet Bektas. Ein Fingerschnipsen ließ ein Becken vibrieren; Klangstäbe wurden angetippt, ehe dann ein Ud-Solo die Aufmerksamkeit der Zuhörer forderte. Doch zum Schluss wurden die Hörfarben gänzlich vom Saxofon bestimmt, bei flotter werdendem Rhythmus.

Wenn es in Wirklichkeit Vollmond war, an diesem Samstag im Mai, so hielt das die Musiker nicht davon ab, mit „Halbmond“ eine Komposition von Jan Klare zu spielen. Zu Beginn konnte man den Eindruck von Volkstänzen gewinnen, nicht fern von Balkanova. Doch diese vorschnelle Annahme verflog, sobald die Saxofonsequenzen dominierten. Kinderliedartiges schien an das Ohr der Zuhörer zu dringen, nach dem Vorbild „1, 2, 3 … Polizei“. Im Wechsel dazu zeigte sich Jan Klare am Saxofon dann auch wiederum sehr lyrisch, und zwar so, als wollte er uns das Bild nächtlich sich ausbreitender Nebelschwaden nahe bringen. Nachtschwärmer schienen unterwegs zu sein, langsam vorbeihuschende Autos auch. Für eine gewisse Spannung und ein Knistern wie in einem Krimi sorgte Fethi Ak beim Spiel mit Rahmentrommel und Darbuka. Dabei wechselte er stets vom Rand der Schlaginstrumente in die Mitte der Schlagflächen, mal mit den Handflächen und dann wieder nur mit den Fingerkuppen spielend. Am Ende vernahmen wir viel Gemurmel, Geschrei und Gerede, als Jan Klare das musikalische Zepter erneut in seine Hände nahm.

Bei „Laitla“, geschrieben von Ahmet Bektas, war Jan Klare an der Klarinette zu hören, die man langläufig mit Klezmer und Swing in Beziehung bringt. Doch von all dem war an diesem Abend nichts zu hören. Kein Wunder, denn es gab ja Jüzz! Eher drängte sich im Verlauf des Stücks der Eindruck von Minnegesang auf. Auch Balladenhaftes meinte man, gelegentlich zu entdecken. Ging es um verschmähte Liebe, um Trauer und Schmerz? So jedenfalls ließen sich die Klarinettensequenzen durchaus interpretieren. Auch das Stichwort Lullaby kam dem Berichterstatter in den Sinn.

Nachfolgend unternahmen wir einen Ausflug ans „Goldene Horn“. Das Goldene Horn ist eine Bucht im Bosporus, die den europäischen vom asiatischen Teil der Türkei trennt. Neben einem beinahe losgelöst spielenden Jan Klare am Saxofon war es Ahmet Bektas, der mit seinen feinen Läufen auf der arabischen Laute die Zuhörer faszinierte. Flirrende Motten des Nachts, ein laues Sommerlüftchen, eine Fahrt in einem Coupé und die wehenden Haare im Wind – das waren einige Bilder, die zumindest dem Berichterstatter beim Zuhören obendrein in den Sinn kamen.

Wohl einer zehnminütigen Warteschleife ist der Titel „Telekom“ geschuldet, so Jan Klare. Man kennt ja derartige Situationen, in denen vom Band immer wiederkehrend „Bitte warten Sie … Bitte warten Sie … Sie werden verbunden“ zu hören ist. Überaus beeindruckend war das Wechselspiel zwischen Ud und Saxofon, das sich nach und nach verdichtete. Man gewann den Eindruck, es werde der Redefluss zwischen Anrufer und Angerufenem musikalisch umgesetzt.

Der zweite Teil des Konzerts begann recht kammermusikalisch, wenn dieser Begriff überhaupt an dieser Stelle angemessen ist. Gespielt wurde türkische Kunstmusik aus dem 19. Jahrhundert, so Jan Klare in seiner kurzen  Ansage. Getragen-lyrisch war das, was an unsere Ohren dran. Bilder von Fähren aus dem Bosporus, von Fischerbooten, vom bunten Treiben in den Gassen Istanbuls, von Tee trinkenden alten Männern drängten sich auf. „Klang das nicht gerade wie ein höfischer Tanz?“, fragte man sich an einer Stelle des Vortrags. Richtig konzertant im klassischen Sinne wurde es dann bei der vorgetragenen Bearbeitung eines Werks von Monteverdi. Das war, so Jan Klare, das wohl atypischste Werk des gesamten Konzertabends, der, wie gesagt, mit einer Zugabe endete, derweil der Vollmond am Himmel stand.

Text und Fotos. © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Bunker Ulmenwall
http://bunker-ulmenwall.org/

Musiker
Jan Klare
http://www.janklare.de/klare/wordpress/

Interview
http://www.jazzhalo.be/interviews/jan-klare-im-gespraech-mit-dem-saxofonisten-und-bandleader/

Ahmet Bektas
https://de.wikipedia.org/wiki/Ahmet_Bektas

Fethi Ak
http://prokulturgut.net/worldmusicevolution/kuenstler/fethi-ak-perkussion/

Veröffentlichungen

Klare Bektas Ak, Meta Records, meta 063
Aufnahmen von 2011 wie „Sultany“, „Canzonette“, eine Berarbeitung eines Werks von Monteverdi, sowie zwei Kompositionen von Ahmet Bektas namens „Laitla“ und „Yulet“. Zudem zu hören sind „Goldenes Horn“ und „Mixodus“, wiederum von Jan Klare komponiert.


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