1000 anthems to work on the good end, Bunker Ulmenwall Bielefeld, 13. Juni 2017

Der in Münster beheimatete Saxofonist und Flötist Jan Klare ist ein alter Freund des Bunkers und zuletzt mit „The Dorf“ zum 60/20-Jubliäum dort aufgetreten. Nun präsentierte Jan Klare dem interessierten Publikum im Bunker seine langjährige working band „1.000“ mit neuem Repertoire, das sich mit dem Thema „Nationalhymnen“ befasst.

Zu Jan Klares langjährige musikalische Weggefährten gehören Bart Maris (trumpet), Wilbert de Joode (bass) und Michael Vatcher (drums). Zu Gehör gebracht wurden an einem lauen Juniabend unter anderem Bearbeitungen kambodschanischer und afghanischer Nationalhymnen, wie sie seit Beginn des letzten Jahrhunderts in den jeweiligen Ländern benutzt werden. Zudem erklangen eine chinesische Nationalhymne und einige eigene Stücke in speziellen Arrangements.


In seinen einleitenden Worten für diesen vor der Sommerpause vorletzten Konzertabend wies Frank Ay (Bunker Ulmenwall) darauf hin, wie brandaktuell das Projekt angesichts eines erstarkenden Nationalismus und Nationalchauvinismus ist. Zudem seien ja Jazzmusiker schon immer Seismografen politischer Ereignisse gewesen und hätten diese kommentiert, so auch das Vierergespann des Abends.

Gleich zu Beginn des Konzerts erklang ein Hymnus, der allerdings im Verlauf mehr und mehr das Bild des Totentanzes aufkommen ließ. Nein, nicht etwa an Franz Liszts „Danse macabre“ musste man denken, sondern eher an Lieder, die vom Schnitter Tod handeln. Flügelhorn und Altsaxofon vereinten sich in dem „Totenreigen“. Wilbert de Joode strich den Bogen über die tiefen Saiten. Der Schlägel in den Händen von Michael Vatcher traf hart auf das Fell der Snare, so als würde das letzte Stündlein angebrochen sein. Jan Klare ließ sein Altsaxofon dazu eher spitztönig erklingen, derweil Bar Maris seinem Horn surrende, schnarrende und brummende Klangsequenzen entlockte. Gelassenheit schien auf Entäußerung zu treffen.


Das Klapperbrett bestehend aus einem Rahmen und auf Länge gesägten Besenstielsegmenten fuhr im weiteren Fortgang des Konzerts hoch und nieder, dank an Michael Vatcher, der zugleich mit dem Besen das Fell einer seiner Trommeln wischte. Unterdessen hatte Bart Maris die Trompete ergriffen und spielte Passagen, die den Berichterstatter an einen Choral erinnerten. Als „Zweitstimme“ fungierte das Altsaxofon. Entwickelte sich daraus nicht eine Art Kanon? In Intervallen ließ Michael Vatcher sein Klapperbrett weiter niedersausen. Nachfolgend schien der Drummer obendrein in einen Marschrhythmus zu verfallen, der sich als durchaus gegenläufig zum „Gesang“ von Altsaxofon und Trompete erwies. Oh, gab es da nicht auch Reminiszenzen an „Eurovisions-Hymne“? Verfremdeten die beiden Bläser nicht gar für einen sehr kurzen Moment das Deutschlandlied? Gegen Ende entwickelte sich der Vortrag immer mehr ins „Zappaeske“. Dass es sich dabei um ein Stück aus dem 11. und 21. Jahrhundert gehandelt hat, fügte Jan Klare im Nachgang an. Zugleich erfolgte der Hinweis, dass nun fünf afghanische Hymnen folgen werden. „2002 war Musik unter den Taliban verboten“, so Jan Klare kurz und knapp. War nun auch ein Moment der Stille zu erwarten?

Triumphierend und jubilierend begann die Bearbeitung der Hymne aus den 1940er Jahren. Das ist ja so typisch für Hymnen, die musikalisch zwischen „Hohelied“ und Marsch „wandern“, auf alle Fälle aber die eigene Nation hochleben lassen. Historisch ist das nachzuvollziehen, denn diese Hymne entstanden in ihrem Kern zu einer Zeit, als die Bildung von Staat und Nation noch in den Kinderschuhen lag. Beispiele wie die Marseillaise (Frankreich), Brabançonne (Belgien) und das Deutschlandlied fielen dem Berichterstatter ganz spontan ein. Sie sind geprägt von Volkslied, Marschmusik und Fanfarenmusik. Derartige Elemente konnte man auch bei den afghanischen Hymnen entdecken. In den Harmonien und Melodielinien vermeinte man gar, ein gewisses Humpda-Humpda zu vernehmen. Doch im weiteren Fortgang wurde das konterkariert und paraphrasiert.


Hörte man nicht auch ein gewisses „Glory, Glory“ in einer der afghanischen Hymnen? Sehr rhythmisch war das Bassspiel. Dabei diente der Korpus des Kontrabasses gelegentlich auch als Perkussionsinstrument, während Michael Vatcher die Snare mit seinen Händen bespielte, also auf Besen und Stick verzichtete. Völlig losgelöst bewegte sich Jan Klare mit seinem Altsaxofon durch die verschlungenen Melodielinien, die hin und wieder an Tanzmusik denken ließen.

Die Hymne eines heute von lang andauernden Kriegen zerrütteten Landes aus der Zeit 1978 bis 1992 stand als Nächste auf dem Programm. Für den Vortrag hatte Jan Klare seine Klarinette ergriffen. Doch zunächst hörte man Rasseln und prasselnde Tritte gegen die Basstrommel. Sehr liebliche Klänge vernahm man obendrein, allein der Klarinette war das geschuldet.


Es gab an diesem Abend noch einige Wechsel der Instrumente zu erleben, da Jan Klare sowohl Querflöte als auch eine chinesische Bambusquerflöte, vermutlich eine Dizi, spielte. Die Querflöte diente Jan Klare stellenweise als reines Atemrohr. Man hörte Rauschen und Gurgeln. Michael Vatcher hatte zwar keine Rührtrommel in der Hand, aber mittels Snare und aufgesetztem Stick war er in der Lage, die Rührtrommel im Klang zu imitieren. Statt der üblichen Hi-Hat brachte der us-amerikanische Drummer, der lange in Amsterdam gelebt hatte, zwei Roste mit aufgesetzten Schellen mit ins Spiel ein. Einer Piccoloflöte gleich war der Klang von Bart Maris' Trompete und dabei glaubte man, bildlich Soldaten in Reih und Glied vor sich zu sehen. Parole: Still gestanden und angetreten!

Unterdessen waren alle Beteiligten bei der afghanischen Hymne des Jahres 2006 angekommen. Zunächst verbreiteten Michael Vatcher und  Wilbert de Joode eine gespenstische Stimmung voller Anspannung. Klanglich passierte nicht viel: De Joode schabte mit dem Bogen über den Kontrabass jenseits des Stegs. Leise ging es zu, bis auf ein gelegentliches Knarzen. Der Spannungsbogen wuchs. Quietschen und Brummen waren zu vernehmen; unterdessen hatte sich Michael Vatcher eine Trommel umgebunden, die er mit großen Schlägeln bearbeitete. Wie eine Pauke klang es, sprich nach dumpfen Paukenschlägen. Diese erzeugten den Eindruck von fernem und dann immer näherkommendem Donner. Dum und Dumdum, Dum und Dumdum …


Besonders der Klang der mit dem Bogen bespielten riesigen Fuchsschwanzsäge gehört zu dem nachdrücklichsten akustischen Erlebnissen des Abends. Denn eine quiekende, jaulende, wimmernde und kreischende Säge hatten wohl die wenigsten der Anwesenden an einem Konzertabend im Bunker erwartet. Zum Einsatz kam sie beim Vortrag der chinesischen Nationalhymne der Jahre 1911 bis 1912. In einem steten Auf und Ab war Bart Maris mit seinem Horn unterwegs. Teilweise mit dem eigenen Oberschenkel dämpfte Jan Klare sein Altsaxofon, dessen Trichter er dabei auf seinen Schenkel aufsetzte. Ein Bündel von Hölzern wurde zum Schwingen gebracht. Mit kurzen „Strohbündeln“ schlug sich Michael Vatcher auf die Oberschenkel – Body Drumming pur. So trat zum Akustischen auch hier und das das Visuelle hinzu und hinterließ seine Spuren, ohne dass man von Mummenschanz reden, aber durchaus von Budenzauber sprechen könnte.

Auf dem abendlichen Programm standen auch die Hymnen aus Kambodscha, aus einem fernöstlichen Land, das erstmals 1941 eine offizielle Hymne bekam. Bei einer dieser Hymnen war auch der Klang eines Kissens mit Glöckchen spielwichtig. Auch dies war natürlich ein echter Hingucker. Gleiches gilt für Jan Klares Spiel auf der chinesischen Bambusflöte mit ihrem überaus weichen Klang. Spielte Bart Maris dabei nicht auf dem Cornet? Oder war es ein Piccolo?


Beim letzten Stück des Abends schienen nicht nur Motten das Licht zu umschwirren, sondern auch andere Insekten, folgte man Bart Maris in seinem Spiel. Dieser wurde von Jan Klare abgelöst, der sich einem ähnlichen Duktus wie Bart Maris verschrieb. Der Insektenflug schien seine Fortsetzung zu finden, bis zum („bitteren“) Ende.

Ohne Zugabe, eine kurze, entließ das Publikum die vier Musiker nicht. Für die einen oder anderen war es vielleicht eine musikalische Grenzerfahrung, für andere experimentelle Musik durchaus mit Anmutungen von Free Jazz. Auf alle Fälle öffnete es die Augen für die musikalische Struktur von Hymnen, auch und gerade in den verschiedenen Arrangements.


Text und Fotos: © ferdinand dupuis-panther

Informationen

Bunker Ulmenwall
http://www.bunker-ulmenwall.de/

Jan Klare
http://janklare.de

http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/j/jan-klare-alex-schwers-frustice/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/j/jan-klare-solo/
http://www.jazzhalo.be/interviews/jan-klare-im-gespraech-mit-dem-saxofonisten-und-bandleader/
http://www.jazzhalo.be/reviews/cd-reviews/r/rket-rekort/

Bart Maris
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Michael Vatcher
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