David Helbock: im Gespräch mit dem österreichischen Pianisten

Im Vorfeld des Internationalen Jazzfestivals Münster 2015 hatte ich Gelegenheit mit David Helbock zu sprechen, der auf dem Festival mit seinem Trio, bestehend aus ihm am Klavier sowie seinen mitspielenden Multiinstrumentalisten Johannes Bär (trp, flg., piccolo-trp., baritonhorn, tuba, helicon, sousaphon, alphorn, didg., beatbox, perc., elec.) und Andreas Broger (tenor sax, soprano sax, clarinet, basscl., flute, slide-trumpet, bassdrum, perc., elec.). Beide Mitspieler Helbocks sind wahre Bühnenkünstler und wechseln beinahe in zirzensischer Manier ihre Instrumente oder spielen zwei Blasinstrumente gleichzeitig, ganz im Geiste von Roland Kirk. Helbock selbst ist auch ein versierter Spieler verschiedener Instrumente, denn neben dem Klavier bedient er sich auch der Melodica, des Bassdrums, Perkussionsspielzeugen und eines Spielzeugpianos, um seinen spezifischen Klangteppich für „Zufall und Ordnung“ - 'Random/Control' - zu erzeugen. Wie Helbock im Gespräch erläutert, gehört seine augenblickliche Aufmerksamkeit dem brasilianischen Musiker Hermeto Pascoal, der für die neue CD von 'Random/Control' eigens ein Stück komponiert hat. Noch etwas ist bezüglich David Helbock besonders hervorzuheben. Es ist das 2010 erschienene Realbook mit 365 Kompositionen, die er alle innerhalb von 365 Tagen geschaffen hat. Was für ein kreativer Akt! Erwähnt seien auch einige Auszeichnungen, die Helbock in den letzten Jahren zuteilgeworden sind. Dazu gehören der "Outstanding Artist Award" 2011 (Österreich) sowie der 2.Platz und Publikumspreis beim weltgrößten Jazz-Pianosolo-Wettbewerb in Montreux.

Wenn Du den Begriff Jazz hörst, was fällt dir dazu spontan ein?

D. H.: (Lachen.) Äh, für mich hat das schon etwas mit Improvisation zu tun. Ich würde mich auch gar nicht groß als Jazzmusiker bezeichnen. Improvisation als Stilmittel, das gibt es auch in meiner Musik, so würde ich das sehen.

Vielfach wird Jazz als intellektuell, verkopft und als Nischenprodukt eingestuft. Ist aus deiner Sicht daran etwas Wahres und, wenn ja, in welcher Hinsicht?

D. H.: Ja, das ist wieder so eine Frage. Jazz das ist so eine Art Label, eine Marke, die dazu verwendet wird, damit man etwas verkaufen kann. Dann muss man auch im CD-Laden die CD unter Jazz sortieren, damit die Leute die auch finden. Viele junge Musiker, die ich kenne, machen extrem spannende Musik, für die sich auch Leute interessieren, die den Begriff Jazz so sehen, wie du es gesagt hast, und mit Jazz weniger anfangen können.

Ist die Musik, die du machst, für dich eher im europäischen oder im afroamerikanischen Kontext einzuordnen?

D. H.: Es gibt dabei unheimlich viele Einflüsse. Es gibt für mich viele Musikarten, die mir gefallen und ich mische diese dann zusammen. Ich habe mich sowohl mit afroamerikanischer Tradition des Jazz als auch Weltmusik beschäftigt. Genauso wichtig sind für mich europäische Strömungen, weil ich klassische Musik studiert habe. Ich habe sicherlich aus der klassischen Romantik auch in meiner Musik Einflüsse.

Wie kommst du denn zu deiner Musik, die du mit 'Random/Control' auf die Bühne bringst?

D. H.: Das ist eine lange Geschichte: Mit Klassik habe ich angefangen und in dem New Yorker Jazzpianisten Peter Madsen einen Superlehrer gehabt. Ich habe viele Musikarten kennengelernt. Mit ist schon wichtig, das, was ich gelernt habe, quasi die Tradition, hochzuhalten. Das meinst du vielleicht. Auf der neusten CD sind z. B. Stücke von Pascoal und Monk von mir bearbeitet worden.

Ist die Musik von 'Random/Control' eine eher auf Themen bezogene arrangierte Musik? Wie viel Luft gibt es dann für das freie Spiel?

D. H.: Da ist der Name der Band schon Programm: 'Random/Control' heißt ja „Zufall/Kontrolle“. Es sind zum Teil sehr ausgecheckte Passagen und dann gibt es auch freie, zufällige Passagen. Das ist schon eine gute Mischung.

Gibt es Reverenzen deiner Musik zur traditionellen Banda- bzw. Brass-Musik?

D. H.: Ja, ja, allein von der Besetzung her mit den vielen Blasinstrumenten. Ich habe mich mit dem Thema weniger bewusst beschäftigt, eher mit den amerikanischen Traditionen der Second Line (Anm.: Second Line ist eine Tradition von den Blaskapellenparaden in New Orleans.).

Höre ich eure Musik, so entdecken ich sehr stark gebundene Themen und weniger freies Spiel bis hin zur totalen Kakofonie, oder?Ihr kommt nicht zusammen und spielt drauf los, d. h., was sich ergibt, ergibt sich?

D. H.: Das machen wir weniger. Es gibt im Stück immer wieder freie Passagen. Mir ist dieser Wechsel wichtig. Ich mag nicht es ganz kontrolliert zu spielen, aber auch nicht ganz frei. Der Wechsel, der Graubereich dazwischen, ist für mich spannend. Ja, wenn von einer Sekunde auf die andere arrangierte Musik in freie wechselt und umgekehrt.

Wie kommen die Titel der Stücke zustande? Kannst du das vielleicht an 'Tinkle Tinkle' erläutern? Wie kommst du überhaupt zu den Kompositionen, über Bilder, Geschichten, Begegnungen, Filmpassagen und … und?

D. H.: Ja, das kommt alles zusammen. Ich komponiere sehr viel. Ich habe 2009 ein Buch geschrieben, für das ich ein Jahr lang an jedem Tag ein Stück zu Papier gebracht habe. Der Alltag inspiriert mich. Das kann auch Musik wie die von John Cage sein, aber auch etwas aus der Natur. Bezogen auf 'Random/Control' und der ersten CD, die wir 2010 herausgebracht haben, sind viele eigene Stücke im Programm. Bei der zweiten sind eher Stücke von Thelonious Monk und Hermeto Pascoal zu finden. 'Tinkle Tinkle' ist eine Nummer von Thelonious Monk. Es bezieht sich auf ein Kartenspiel für Kinder. Wir haben es dann für uns sehr witzig interpretiert. Ich spiele daher bei diesem Stück auch dieses Kinderklavier.

Zu deinem Realbook: Ich ziehe ja den Hut vor dieser Disziplin, ein Jahr Tag für Tag ein neues Stück zu komponieren. Woher stammt die Idee dazu?

D. H.: Die Grundidee kommt von Hermeto Pascoal. Er hat 1998 etwas Ähnliches gemacht und es 'Calendar of Sounds' genannt. Ich fand es sehr spannend, so etwas zu schreiben, sodass dann jeder quasi sein Geburtstagsstück hat. Für mich war das eine Art musikalisches Tagebuch. Ich hatte es mehrfach probiert und dann im dritten Anlauf das Projekt ein Jahr lang durchgezogen. Es war für mich ein extremer Lernprozess. Ich bin dabei schon mit dem Anspruch an die Arbeit gegangen, mich möglichst wenig zu wiederholen.

Kommunizierst du mit deinem Publikum mehr über die Musik und weniger über Sprache; sprich erläuterst du hin und wieder auch dein Spiel?

D. H.: Ich erzähle schon hier und da etwas zu einem Stück. Ich habe das früher mehr gemacht, fast zu jedem Stück. Mittlerweile hängen Stücke mehr zusammen, und dann lasse ich mehr die Musik für sich sprechen. Jedes Stück hat aber gewiss eine Geschichte.

Also: Könntest Du mir ein wenig zum „Beelzebub“ und „Öpfili, bist so kugelrund" erzählen?

D. H.: Ja, klar. Der „Beelzebub“ ist ein sehr altes Stück von mir, das ich vor etwa zehn Jahren komponiert habe. Ich habe es in unterschiedlichen Formationen, auch mal Solo, gespielt. Damals habe ich mich mit einem Herrn namens Gustave Ivanovich Gurdcheff, einem Lebenskünstler und Philosophen aus Armenien, beschäftigt. Keith Jarrett steht auch auf den. Gurdcheff hat ein Buch geschrieben für seinen Enkel und das heißt „Beelzebubs Erzählungen“. Das habe ich gelesen und inspiriert davon, habe ich gleich das Stück geschrieben. „Öpfili, bist so kugelrund" ist ein Volkslied aus Vorarlberg, der Gegend in der Nähe des Bodensees, wo wir drei herkommen. Mit der Volksweise habe ich mich musikalisch intensiv beschäftig. Bei uns ist nur noch die Melodie zu erkennen, aber der Rhythmus und alles darum ist dann von mir arrangiert worden.

Noch etwas zu deiner Band: Auf der Bühne seit ihr ja eine kleine Brassband, in der Andreas Borger hin und wieder auch zwei Instrumente gleichzeitig spielt. Das habe ich seit den Tagen von Roland Kirk lange nicht mehr gesehen. Ich gehe mal davon aus, dass das kein Gag um des Gags willen ist, sondern musikalisch von Bedeutung ist.

D. H.: Ja, Saxofonisten machen das schon ab und zu. Ich kenne auch einen, der gleich drei Saxofone im Mund hat. Der Johannes macht das auch hier und da mit zwei Trompeten. Bei 'Random/Control' ist das schon auch ein Gag und es ist außerdem viel Show dabei. Es gibt aber selbstverständlich den Gedanken, das musikalisch sinnvoll zu verpacken. Es macht nur Sinn, wenn es nicht nur irgendwelche Sounds sind. Der Andreas kann wirklich Töne auf beiden Instrumenten erzeugen und zweistimmig spielen, so auch die Melodie von „Öpfili, bist so kugelrund".

Was hat es eigentlich mit dem Helicon und dessen Einsatz bei euch auf sich?

D. H.: Ein Helicon ist ähnlich wie ein Sousafon. Es hat auch einen Trichter, der aber nach vorne geht. Mittlerweile hat der Johannes auch ein Sousafon dabei. Helicon spielt er jetzt kaum noch, denn vom Sound ist es sehr ähnlich wie das Sousafon. Helicon war in der Blasmusik der Ostschweiz und in Vorarlberg sehr üblich.

Ist ein Trio für dich eine Idealbesetzung, um Musik zu machen? Wenn ja, warum

D. H.: Ja, schon. Ich bin aber auch jemand, der gerne in unterschiedlichen Formationen spielt. Ich bin ganz ehrlich: Wenn ich zu oft mit den gleichen Musikern spiele, wird mir schnell langweilig. Deshalb verfolge ich auch so vier bis fünf eigene Projekte. Ja, gerade für mich als Komponist und Arrangeur ist es schon spannend, weil man die unterschiedlichsten Klangfarben kombinieren und immer wieder aufs Neue nach Klangfarben suchen kann.

Du verzichtest bei der Trio-Besetzung 'Random/Control' auf einen Schlagzeuger im klassischen Sinne, da deine Mitstreiter und du selbst Schlagwerke spielen. Aber wie habt ihr denn den Bass ersetzt, der bei einer klassischen Trio-Besetzung nicht fehlen darf?

D. H.: Der Vorteil von dem Trio ist, dass jeder quasi alles machen kann. Auch wenn der Johannes auf der Tuba so Beatbox ähnliche Sounds macht. Das ist sehr rhythmisch und ersetzt das Schlagzeug. Den Bass kann auch jeder übernehmen: Ich spiele mit der linken Hand die Basslinie oder Andreas greift zur Bassklarinette, und der Johannes nimmt die Tuba.

Mir fiel auf, dass du mit einer Häkelmütze mit Klaviertasten auftrittst, und dabei musste ich an Thelonious Monk denken, der ja mit wechselnder Kopfbedeckung auf die Bühne kam. Ist das dein Markenzeichen?

D. H.: Monk war bekannt dafür, dass er sehr viele Kopfbedeckungen hatte und wechselnd trug. Joe Zawinul trug auch verschiedene Mützen. Ich habe nur die eine, die hat meine Mutter vor 15 Jahren gehäkelt. Es ist quasi ein Ritual geworden, beim Spiel diese Mütze aufzusetzen.

Der Jazz ist in die Jahre gekommen und auch die Zuhörer. Oma und Opa sitzen im Publikum, derweil die Enkel auf der Bühne jammen. Stimmt der Eindruck? Ist das bei euch auch so?

D. H.: Ja, im deutschsprachigen Raum ist das wohl so, aber man muss gar nicht weit gehen und dort ist es anders. In Tschechien und Polen sehe ich sehr junge Leute bei meinen Konzerten. Ich war gerade in China und dort sitzen fast nur junge Zuhörer im Publikum. Ich glaube nicht, dass es an der Form oder Musikstil liegt, sondern eher kulturabhängig ist, vielleicht. Es ändert sich bei uns immer mehr, weil Musiker nicht nur traditionellen Jazz spielen, sondern Stile mixen.

Hast Du jemals daran gedacht, Jazz mit Hip-Hop oder Techno zu mischen?

D. H.: Ja, Ja. Mit Rappern habe ich schon gemeinsame Auftritte gehabt. Hin und wieder trete ich auch mit Poetry-Slam-Machern auf. Da bin ich jedenfalls offen. Wieso nicht?

Denkst Du, dass man mit diesem Cross-over auch andere Zuhörergruppen erreichen kann?

D. H.: Generell schon, aber man muss auch vorsichtig sei. Man darf den künstlerischen Anspruch dabei nicht verlieren. Es gibt u. a. Jazzmusiker, die Popsongs covern und dann sehr seicht werden. Dann verlieren sie wiederum die Jazzkenner. Schwierig. Persönlich bin ich für alles offen.

Wohin wird sich deine Musik entwickeln, in den nächsten Jahren?

D. H.: Meine Musik ist sehr energetisch und dicht. Nun bin ich eher dabei zu entschleunigen. Ich will mich mehr mit Stille und Sounds, mit Klangfarben und dem Ausklingen auseinandersetzen.

Ich danke dir für das Gespräch.

© text und fotos: ferdinand dupuis-panther

Informationen

Homepage

http://www.davidhelbock.com/

Audio



Hermeto Pascoal
http://www.hermetopascoal.com.br/


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